piwik no script img

Landwirtschaft in PeruIdentität aus der Knolle

Fünf Gemeinden, 6.000 Menschen und ein Ziel: Die regional vorkommenden Kartoffelsorten sollen in einem Kartoffelpark angebaut werden.

Beider Kartoffelernte in Cuco, Peru Foto: Tom O'Neill/imago

Jhon Ccoyo wirft einen letzten prüfenden Blick auf die Regale, auf denen Dutzende kleiner Schalen mit Kartoffeln stehen. Einige erinnern an Mohrrüben, andere an Okraschoten, manche sind hell, einige tiefrot und wieder andere schimmern lila. „Das ist eine Auswahl der wichtigsten Sorten, die wir anbauen. Unsere Besucher sollen einen Eindruck von der Kartoffelvielfalt bekommen, die es in Peru gibt“, sagt der 31-jährige Leiter des Besucherzentrums des Parque de la Papa.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Perus Kartoffelpark liegt rund vierzig Minuten Fahrtzeit von der alten Inkastadt Cusco entfernt, oberhalb der Kleinstadt Pisac und ist ein Gemeinschaftsprojekt von sechs indigenen Gemeinden. Pampallacta heißt eine davon und im gleichnamigen Dorf kommen die meisten Besucher, sowohl Touristen als auch Studenten und Wissenschaftler, an. Stabile Lehmbauten mit Stroh- oder Ziegeldächern prägen das Dorf, und das prächtige Besucherzentrum macht da keine Ausnahme. Dort bekommen die Gäste das Konzept des Parks erklärt.

„Unser Ziel ist es, möglichst alle Sorten, die im peruanischen Hochland vorkommen, im Park anzubauen“, erklärt Ccoyo mit stolzer Stimme und deutet auf eine fast schwarze, kleine Kartoffel. Die heißt Leona Negra, die schwarze Löwin, wie ein kleiner Zettel verrät. Was er nicht verrät, ist, dass ihr weißes Fruchtfleisch von lila Schlieren durchzogen ist. Daneben liegt die Puka Mama, eine annähernd runde, beige-braune Knolle, mit einer lilafarbenen Schärpe, und Puma Maki darüber erinnert mit den vier tiefen Furchen und der länglichen Form an die Pranke eines Pumas.

„Viele unserer traditionellen Kartoffelsorten tragen Namen, die von der Form, der Farbe oder dem Geschmack herrühren, aber es gibt auch Sorten, die nur zu bestimmten Anlässen, einer Hochzeit, einer Beerdigung oder einer Taufe, gegessen werden“, erklärt Jhon. Er koordiniert die Arbeit im Besucherzentrum, gibt Einblick in die Welt der tollen Knollen und fungiert normalerweise auch als Guide für Besuchergruppen, denen er auch die anderen Produkte aus dem Kartoffelpark vorstellt. Die sind unterhalb der etwa 120 wichtigsten Kartoffelsorten in den fünf Regalen angeordnet: Mais- und Quinoakörner, aber auch Okraschoten, Amarant und Ulloco, eine weitere Knollenpflanze.

Hinzu kommen etliche Gemüsesorten, aber auch Kräuter und Heilpflanzen, die zu bestimmten Jahreszeiten und längst nicht in allen Höhenlagen angebaut werden. Wann, wo, was angebaut wird, darüber informiert der Anbaukalender, der in der Mitte des Ausstellungsraums auf einem runden Tisch angebracht ist. An den Wänden hängen hingegen die Geräte, die bei Aussaat und Ernte zum Einsatz kommen: die kurzstielige Hacke, Kuti, oder die Chaquitcalla, eine Art Trittpflug, mit dem der Boden auch heute noch aufgelockert wird.

Mehr als Grundnahrungsmittel

Die Kartoffel bildet das Rückgrat der Ernährung der rund 6.000 Menschen, die im Kartoffelpark leben und die vielfältigen Knollen zwischen 3.300 und 4.300 Metern über dem Meeresspiegel anbauen. „Die Papas nativas sind Teil unserer Identität, stehen für unsere Geschichte. In den Anden, nahe dem Titicacasee, steht die Wiege der Kartoffel. Um sie dreht sich vieles in unserer 10.000 Jahre währenden Agrargeschichte“, erklärt Jessica Villacorta, Agrartechnikerin, die mit den Gemeinden arbeitet, sie berät, Saatgut in eigenen Gewächshäusern zieht, um Erträge zu steigern und die Pflanzen angesichts des Klimawandels auch widerstandsfähiger zu machen.

Auch mitten in der Pandemie ist sie gemeinsam mit Kollege Enrique „Kike“ Granados vor Ort. „Hier gibt es bisher nicht einen Covid-19-Fall. Das ist ein Glück und erleichtert uns die Arbeit“, erklärt Kike, der auch dabei war, als Mitte Mai die sechs Gemeinden des Kartoffelparks mehr als 1.000 Kilo Kartoffeln an die Ärmsten der Armen im nahegelegenen Cusco verteilten. Mit der Hilfsaktion haben sich die Kleinbauern, allesamt Nachkommen der Inka, in der Hauptstadt der Region nachhaltig in Erinnerung gebracht und zugleich auf ihr wichtigstes Produkt, die Papas nativas, aufmerksam gemacht.

Papas nativas werden die Hochland-Kartoffeln in Peru genannt, die aufgrund ihres Geschmacks und Nährstoffreichtums auch in der feinen Küche des Landes Einzug gehalten haben. Das hat dazu beigetragen, dass Bauern wie Jhon Ccoyo oder Mariano Sutta ihre eigenen Produkte stärker wertschätzen, als es früher der Fall war. Da galt alles, was auf die Inkas zurückging, schnell als rückständig.

Zu Unrecht, so Agrarexpertin Jessica Villacorta. „Hier waren 90 Prozent der Anbauflächen terrassiert, ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgte für gute Ernten, und die Vielfalt des Saatgutes ist ein Schatz, denn wir bewahren wollen.“ Villacorta ist für die Nichtregierungsorganisation Andes tätig und mindestens zwei bis dreimal pro Woche im Kartoffelpark. Sie arbeitet mit den acht Technikern des Kartoffelparks, von den Gemeinden gewählten, besonders kenntnisreichen Bauern, zusammen, die die gemeinsame Vision der Bewohner in die Realität umsetzen sollen.

Alle traditionell in der Region vorkommenden Sorten wollen sie in ihrem Kartoffelpark auf den kollektiv bewirtschafteten Flächen anbauen – eine lebende Samenbank soll so entstehen. Dabei sind die Bauern in den letzten Jahren gut vorangekommen. Sie haben in den Nachbargemeinden nach Sorten gefahndet, arbeiten aber auch mit dem internationalen Kartoffelinstitut (CIP) in Lima zusammen.

Dort lagert Kartoffelsaatgut in begehbaren Kühlräumen in rund viertausend Reagenzgläsern. In vitro, wie es die Wissenschaftler nennen, die aus dem Bestand neue ertragreichere und gegen Schädlinge und den Klimawandel möglichst resistente Sorten züchten. Das Gros der alten Sorten im Kühlraum stammt aus Peru und rund dreihundert der sogenannten Papas Nativas, der traditionellen Sorten, haben die Wissenschaftlern den Pionieren des Kartoffelparks zum Ausbau der eigenen lebendigen (in vivo) Samenbank überlassen. Kein Zufall, denn eine Delegation der Kartoffelparks hatte unterstützt von den Entwicklungsexperten von Andes 2005 um die Herausgabe des Saatguts gebeten.

Nachvollziehbar, denn das Gros der Sorten geht auf die Inkas und deren Vorfahren zurück. Als deren Nachkommen sehen sich die Bauern aus dem 9.300 Hektar umfassenden Kartoffelpark und mittlerweile bauen sie 1.367 Sorten auf ihren Feldern an.

„Dafür können sie sich jedoch nichts kaufen. Artenvielfalt allein hilft nicht, den Lebensstandard in Dörfern wie Quello Quello, Pampallaqta oder Paru Paru zu heben. Doch genau das ist unser Ziel. Wir setzen an mehreren Punkten an“, erklärt Jessica Villacorta. 2015 wurden mehrere Gewächshäuser gebaut, wo Saatkartoffeln von besserer Qualität gezogen werden, die an die Gemeinden des Kartoffelparks abgegeben, aber auch an Nachbargemeinden verkauft werden. Je besser das Saatgut, um so höher die Erträge und um so widerstandsfähiger die Pflanzen, lautet die Devise der Agronomin. Sie arbeitet eng mit Andes-Direktor Alejandro Argumedo zusammen, einem peruanischen Agrarexperten, der lange in Kanada gearbeitet hat.

Wiederentdeckung des Eigenen

Der motiviert die Gemeinden, auf ihr traditionelles Wissen zurückzugreifen, auf Heilpflanzen genauso wie auf alte Gemüsesorten, Rezepte und Anbautechniken. Das hat zu ersten Erfolgen geführt. Heute gibt es in jedem der fünf Gemeinden ein Zentrum, wo eigene Produkte hergestellt, verbessert oder angeboten werden. Eines, wo aus Heilkräutern Cremes gegen allerlei Beschwerden, aber auch Seife, Shampoo und Co. produziert werden; eines, wo die Wolle der Lampas und Alpacas zu feinen Tüchern, Schals und Ponchos verarbeitet wird, und auch das Restaurant, wo traditionelle Gerichte für Besucher zubereitet werden, gibt es. Hinzu kommt das Besucherzentrum, wo Stoffe und Kleidungsstücke mit spezifischen Mustern aus dem Park angeboten werden, aber auch Unterkünfte für Touristen, die im Park wandern wollen, sind entstanden.

„Das hat dazu geführt, dass wir heute besser und bewusster leben als noch vor ein paar Jahren. So ist Alkohol ein Tabu im Park“, meint Mariano Sutta, der zum Team der Técnicos des Parks gehört. Die legen überall dort Hand an, wo Bedarf besteht. Mal ist es eine Lehmmauer, eines der kollektiv errichteten Gebäude des Parks, die repariert werden muss, mal ein Dach, aber das Gros der Zeit sind die Técnicos in den drei Gewächshäusern des Kartoffelparks, um Setzlinge für neue Saatkartoffeln zu ziehen, oder auf den Feldern.

Saatgut ist mitten in der Pandemie knapp. „Der Austausch mit anderen Dörfern ist unterbrochen, weist Andes-Direktor Alejandro Argumedo auf ein Problem hin, das das Virus zu verantworten hat. „Hinzu kommt der Klimawandel. Eigentlich regnet es im September und danach werden die Saatkartoffeln ausgebracht. Doch der Regen ist ausgeblieben“, klagt der Entwicklungsexperte, der in Cusco aufgewachsen ist. Das schafft Probleme in der ganzen Region. Dort hat das Modell des Kartoffelparks Schule gemacht.

In Lares, drei Fahrtstunden von Cusco entfernt, hat ein Park eröffnet, wo die rund 60 nur in Peru vorkommenden, meist farbigen Maissorten angebaut werden. Pate steht der Kartoffelpark. Das motiviert nicht nur die acht Techniker, zu denen Daniel Pacco gehört. „Im Mai letzten Jahres haben uns mehr als 400 Kartoffelexperten aus aller Welt besucht und sich unsere Arbeit angeschaut. Das war schon etwas Besonderes“, erinnert sich der 36-jährige Bauer mit einem zufriedenen Lächeln. Ereignisse, die Auftrieb geben, sich im höheren Selbstvertrauen und dem Bewusstsein niederschlagen, auf dem richtigen Weg zu sein. Doch der ist durch die Pandemie und das Ausbleiben des Regens noch holpriger geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!