: Wieder auf Wanderschaft
Sie sind das Tempotaschentuch der Kurzfilmwanderungen: Die Hamburger Künstlergruppe „A Wall is a Screen“ lädt am Samstag zum 40. Geburtstag der Filmförderung in Hamburg endlich wieder zu einer ihrer Kurzfilmtouren unter freiem Himmel ein
Von Wilfried Hippen
Auf eine Wand in der U-Bahnstation Jungfernstieg in Hamburg wird ein kurzer Dokumentarfilm projiziert, in dem gezeigt wird, wie in einer U-Bahnstation in Tokio Bedienstete mit weißen Handschuhen die Menschen in die voll besetzten Waggons drücken. Während der Vorstellung läuft eine Gruppe von asiatischen Touristen*innen durch das Bild. Anhand dieses Beispiels erklärt Sven Schwarz von der Hamburger Künstlergruppe „A Wall is a Screen“, wie im Idealfall auf einer ihrer Kurzfilmtouren Film, Ort und Moment zu einer einzigartig schillernden Einheit verschmelzen können. „Am Tollsten sind die Dinge, die man nicht planen kann!“, sagt Schwarz.
Seit 17 Jahren macht „A Wall is a Screen“ solche Kurzfilmtouren. Auf leeren Wänden an möglichst interessanten Standorten zeigen sie Kurzfilme, die speziell für diese Räume ausgewählt wurden, sodass eine möglichst vielschichtige Verbindung zwischen Film und Spielort entsteht. Die Ausflüge dauern etwa 90 Minuten, also die klassische Spielfilmlänge. An sieben Orten werden dabei Filme gezeigt. Deren ideale Länge sind 12 Minuten, „alles über 15 Minuten geht nicht“, sagt Schwarz. 400 bis 600 Zuschauer*innen sind für ihn ideal, aber in Hamburg waren auch schon über 1.200 Leute bei einer Tour dabei.
Ursprünglich waren diese Touren als Spaziergänge konzipiert, aber das Konzept wurde über die Jahre erweitert. So kutschierten sie das Publikum in Bussen herum, es gab Kurzfilmtouren auf Fahrrädern und im Hamburger Hafen fand die Tour auf dem Wasser in einer Barkasse statt, von der aus dann auch die Filme projiziert wurden. Weil das Licht, das Wetter, die Stimmung des Ortes und das Publikum selber die Wirkung des Films beeinflussen, ist jede Vorstellung eine nicht wiederholbare Performance.
Zuerst wanderte das Kollektiv, das auch heute noch ausschließlich ehrenamtlich arbeitet, für seine Touren nur durch Hamburg. Die Gründer*innen arbeiteten auch in der Kurzfilmagentur Hamburg und sie konnten deshalb von Anfang an für die Auswahl der Filme auf den riesigen Katalog der Agentur zurückgreifen. Diese Verbindung ist heute noch stark, zum Teil sogar in Personalunion. So ist Sven Schwarz auch der technische Leiter des Kurzfilmfestivals Hamburg.
Ursprünglich hatten die Gründer*innen der Initiative einen sozialkritischen Ansatz, denn sie wollten die in ihren Augen zunehmend kommerzialisierten öffentlichen Räume durch kulturelle Aktivitäten zurückerobern. Stadtnutzung war ihr Hauptthema, so zeigten sie auch Filme über die nach Ladenschluss verödeten Innenstädte oder die Gentrifizierung. Mit der Zeit erweiterten sie ihren thematischen Horizont und inzwischen veranstalten sie auch Touren mit filmhistorischem Archivmaterial, Programme mit Musikfilmen oder Filmausflüge für Kinder. Über die Jahre wurden sie international bekannt, sodass sie schließlich Kurzfilmtouren in ganz Europa, den USA, Kanada, Japan, Thailand und den palästinensischen Gebieten organisierten.
Dabei ist das, was sie machen, einfach zu kopieren: ein Projektor, eine Tonanlage und eine leere Wand – mehr braucht es dafür nicht. Ihren Namen haben sie zwar rechtlich schützen lassen, aber für ihre Arbeitsweise gibt es kein Patent. Doch ihre lange Erfahrung garantiert ein hohes technisches und künstlerisches Niveau – und sie gelten als die Originale, die man den Plagiatoren vorzieht, wenn sie nicht zu teuer werden.
„Inzwischen sind wir das Tempotaschentuch der Kurzfilmwanderungen“, sagt Sven Schwarz über diese Entwicklung ihrer Initiative zu einer Marke. So waren die Auftragsbücher von „A Wall is a Screen“ mit bis zu 17 Aktionen pro Jahr gut gefüllt, bis auch hier die Coronakrise einschlug. Nach einer Aufführung im finnischen Tampere im März, von der Schwarz sagt, er habe dabei schon „ein schlechtes Gefühl“ gehabt, wurden alle Termine abgesagt. Im Mai hat dann die Hamburger Behörde für Kunst und Medien gemeinsam mit der Filmförderung an „A Wall is a Screen“ zum ersten Mal nach 17 Jahren einen Hamburger Kinopreis „für innovative und unkonventionelle Kinoinitiativen“ vergeben, der mit 3.000 Euro dotiert ist. „Ein perfektes Zusammenspiel von Kino und Lebensraum“ schrieb die Jury in der Begründung.
Zum 40. Geburtstag des Hamburger Teils der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein wird nun am Samstag nach fünf Monaten Zwangspause wieder eine Filmtour stattfinden. Gezeigt werden Kurzfilme, die in den 40 Jahren in Hamburg gefördert wurden. Einige Klassiker wie „Staplerfahrer Klaus“ werden dabei aber nicht auf dem Programm stehen, denn „A Wall is a Screen“ hatte ihn schon zum 30. Geburtstag der Filmförderung im Programm – und „dogmatisch“ (so Schwarz) zeigen sie keinen Film zweimal. Genau wie sie auch keine Wand noch mal bespielen.
Im Grunde ist die Veranstaltung selber auch eine Förderungsmaßnahme, denn durch sie bekommt „A Wall is a Screen“ die Chance auszuprobieren, ob und wie sich ihre Touren unter den Hygienebeschränkungen durchführen lassen. Denn wie überall werden auch hier die Abstandsregeln den Charakter der Vorstellung verändern: Die Tour ist auf knapp 200 Teilnehmer*innen begrenzt, die sich vorher anmelden und ihre Kontaktdaten angeben mussten. Dies widerspricht der Philosophie der Kurzfilmwanderungen, bei denen sonst sehr auf Barrierefreiheit geachtet wird und zufällig dazukommende Zuschauer*innen nicht nur willkommen, sondern ausdrücklich erwünscht sind. Schwarz hofft nun, trotz der Beschränkungen niemanden wegschicken zu müssen.
„A Wall is a Screen: 40 Jahre Filmförderung in Hamburg“: Sa, 29. 8., 21 Uhr; der Startpunkt wird nach Anmeldung über awias-ffhsh.eventbrite.de bekannt gegeben; Infos: www.awallisascreen.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen