Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn: Auf Socken im Klub
Ausgehen ohne Rauszugehen, ist und bleibt eine komische Angelegenheit, selbst wenn virtuelle Klubbesuche noch zu den harmloseren Verrücktheiten der Coronakultur zählen. „United We Stream“ heißt die Parole, unter der nach Berliner Schwergewichten wie Watergate, Tresor und Kater Blau inzwischen auch kleinere Klubs ihre DJ:anes live und zu fixen Terminen das Internet vollballern lassen. Und das – von wegen World Wide Web – längst auch lokal von eben den Bremer:innen, mit denen man sich früher noch offline die Nacht um die Ohren gehauen hat. Aber eben nicht nur: Wenn am heutigen Samstag etwa das Bremer Zakk auf Sendung geht, werden sich auch Menschen einklinken, die noch nie an der verranzten Tür geklingelt haben. Vielleicht, weil sie das aus rechtlichen Gründen eher spärlich beworbene Tanzlokal im Viertellabyrinth schlicht nicht gefunden haben, oder weil sie sich dann doch nicht getraut haben. Wundern würde mich beides nicht.
Die Offenheit des Streams ist jedenfalls neu und fast so interessant wie die angekündigten DJ-Sets von Anna Svenson, Dorschbursche aus dem Bunkernetzwerk, oder dieser mir von Klaus Hipstehr unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit zugesteckte Chaos-Fahrplan aus „Punkrock, Schlager, Hip Hop, Funk, Electro, Grime und Footwork“. Mich erinnert die Streamerei ein bisschen ans Radio des letzten Jahrtausends, als dort (wenigstens im Nachtprogramm) noch Wege vom dörflichen Nichts in auch die entlegeneren Ecken der Pop-Subkultur führten. Ob nun Frank Hinz mit seiner „Wild Side“ auf Bremen 4 oder Ecki Stiegs „Grenzwellen“ auf FFN: Wir haben jede Sendung gehört, Hunderte von Kassetten mitgeschnitten und auch alleine im Jugendzimmer irgendwie dazugehört, lange bevor sich jemand auch nur in die Nähe einer Klubtür getraut hätte.
Diese Mischung aus Verbindlichkeit und Offenheit ist nicht die größte Stärke der Szenekultur, und vielleicht liegt hier ja wirklich mal so was wie eine Chance in der Krise – auch wenn es bei „United We Stream“ ansonsten natürlich um deren Gefahren geht: weil wegen der laufenden Kosten aus leeren Klubs schnell tote Klubs werden. Das ist schlimm, aber weil auch „United We Stream Bremen“ weiß, dass es anderen sogar noch viel schlechter geht als der Kultur, gehen 60 Prozent der Einnahmen und Spenden direkt weiter an Projekte für Geflüchtete und gegen sexualisierte Diskriminierung.
Sa, 30. 5., 20 Uhr, bremen.unitedwestream.org
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