Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn: Schöner Schrott von gestern
Grübelt man nur lange genug darüber nach, woran einen diese ohne jene Musik nun erinnert, dann wird es irgendwann auch egal. Sie hat dann längst geliefert, emotionalen Überschuss erzeugt und sich im Guten oder Schlechten um den Seelenhaushalt verdient gemacht. Passieren tut das allerdings eher selten, bei den Bremer Neuerscheinungen der vergangenen Wochen exakt einmal und da auch so ganz ohne Vorwarnung: bei der ehrlich gesagt eher pflichtschuldigen Sichtung von Team Scheisse und ihrem neuen Album „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“ (Fettherz Records).
Klingt doof, ist aber super, ein echter Schatz sogar für vier Euro auf Kassette, oder digital gegen Spende. Die feucht-warmen Retrogefühle stammen allerdings nicht von der Musik. Die ist nur da so von wegen Punkrock eher konsequent als sonderlich gut gespielt. Die Schönheit kommt aus dem Text und da von irgendwo zwischen den Zeilen hoch. „Karstadtdetektiv“ ist zum Beispiel nicht nur lustig, sondern durchzogen von der rührenden Melancholie des Erzählers und der Tragik eines Kaufhausdetektivs mit gutem Herz: „Ihr könnt klauen, was ihr wollt / Ich werd’niemanden verraten / Alles, was ich will, ist ein Freund / ein Freund / ein Freund!“
Zwei Stücke später erzählt Team Scheisse in „Indianer“ von einer geisterhaften Gestalt, die immer wieder stumm beim Sänger im Zimmer erscheint und ihm beim Onanieren zuschaut. „Meine Mutter glaubt mir nicht“, heißt es – was man verstehen kann, sich dann aber doch unweigerlich fragen muss, was er ihr eigentlich erzählt hat. Das Leben geht jedenfalls weiter und in der nächsten Strophe schaut ihm der Fantasieindianer beim Studieren zu. Später geht es auch hier um so was wie Freundschaft, womit die debile Dichtung sogar eine Art Leitmotiv vorweisen könnte, wenn sie denn wollte.
Der Reiz von Team Scheisse liegt aber eben nicht in solchen Rahmungen, sondern gerade in den wild ausschlagenden Verweisen in alle möglichen Richtungen: Hier pöbelt ein Kinski-Sample in den Song, dort faselt der christliche „Okkultismus-Experte“ Kurt E. Koch über die „Universalherrschaft Satans“ durch die Entfesselung sexueller Triebe. Musikalisch weckt die ödipale Indianergeschichte ein schwer zu fassendes 70er-Jahre-Gefühl, während das Detektivlied an die Schrabbelattacken der ersten dreieinhalb Tocotronic-Alben erinnert. Ob das Parodie, Zitat oder ehrliches (wenngleich besoffenes) Nacheifern ist? Keine Ahnung. Aber glücklich macht dieses Album, und nachdenklich, was ja wirklich nicht so oft zur gleichen Zeit vorkommt.
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