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Archiv-Artikel

Missgeschicke in Musik verwandeln

MEDITATIVES LÄRMGLÜCK Ein Becken fällt scheppernd zu Boden, Tageszeitungen dienen als Drumsticks. Die englische Band Volcano the Bear liebt die Unwägbarkeit der Live-Performance, wie sie am Montag im „Ausland“ zeigte

Volcano the Bear sehen zwar aus wie Lehrer, aber ihr Auftreten ist überhaupt nicht autoritär

von JULIAN WEBER

„Technik ist sekundär. Was zählt, ist die Momentaufnahme, der spontane Ausdruck“, erklärte Daniel Padden, eine Hälfte der englischen Band Volcano the Bear, in einem Interview. Er spricht damit die Entstehungsbedingungen seltsamer alter Folkmusik an: ob Töne daneben liegen, ist egal, solange nur die Stimmung des Songs Glaubwürdigkeit oder Magie transportiert.

Aaron Moore, die andere Hälfte von Volcano the Bear, kommt Paddens Bemerkung an diesem Herbstmontagabend in Berlin schon sehr nahe: Auf der schmalen Bühne des „Ausland“ bearbeitet der kniende Moore Trommeln mit zwei zerknüllten Tageszeitungen. Nach und nach lösen sich die papiernen Drumsticks in Fetzen auf. Irgendwann fällt ein Becken scheppernd zu Boden. Das Missgeschick wird von Moore gleich in Musik verwandelt. Er lässt nun andere Becken mit Inbrunst fallen.

Ein Mann am Fingerklavier

Je kathartischer der Lärm, desto klarer singt Daniel Padden mit heller Chorknabenstimme dagegen an. Dazu bedient er eine Kalimba, ein mechanisch klopfendes afrikanisches Fingerklavier, und spielt dann und wann eine simple Tonfolge auf einem Fender Rhodes Piano. Volcano the Bear legen ihre Songstrukturen oftmals über disparate Klangelemente an, ihre Musik oszilliert zwischen Improvisation und Komposition. „Instant composition“ nennt Aaron Moore diese Methode. Als er dann auch noch mit fast identischem Timbre in Paddens Gesang einstimmt, bekommt das Ganze den Anflug eines Rituals: Zwei britische Sannyasins chanten sich ins meditative Lärmglück.

Einer Sekte sind Volcano the Bear aber nicht zugehörig. Sie sind Teil einer lose verbundenen, zwischen New York und Tokio, Glasgow und Berlin agierenden Szene von Improvisationsmusikern. Die Unwägbarkeit der Liveperformance ist hier wichtiger als die Hinterlassenschaft auf Tonträgern. „New Weird“ hat man diese Künstler getauft, oder „No Style“. Volcano the Bear gehen mit ihren Einflüssen aber durchaus wählerisch um: die kalifornische Prankkultur, sprich der Mummenschanz der Residents, hat ihre Spuren hinterlassen, ebenso wie der primitive Countryblues eines Charlie Patton. Stillosigkeit ist eher als Schutzbehauptung gegen zu viel musikalische Virtuosität zu verstehen.

Leider behandelt das englisch, deutsch und französisch sprechende Publikum, darunter zahlreiche Musikschaffende, Volcano the Bear mit einer Ehrfurcht, als gelte es, Infinitesimalrechnungen zu lösen. Die beiden englischen Musiker sehen zwar aus wie Lehrer, aber sie verhalten sich deutlich unautoritärer. Sie lachen über ihre eigenen Fehler. Ja, sie ermuntern das Publikum sogar zum Mitlachen, sodass es eigentlich anders als mit artigem Applaus reagieren müsste.

Unter einem Duo sind für gewöhnlich zwei Musiker zu verstehen, die sich an zwei Instrumenten abarbeiten. Diese Beschränkung hat, etwa in der Sphäre des Jazz, durchaus ihren Reiz. Volcano the Bear wenden sich explizit gegen die Absolutheit des Duoklangs. Jeder Musiker spielt mehrere Instrumente und singt. So entsteht ein Kollektiv an Sounds, das mehr zählt als die beiden Musiker, die die Klänge produzieren. Hier kommt auch wieder das Rituelle ins Spiel, die Egos der beiden Musiker verschwimmen am stärksten, wenn sie zu zweit singen und ihr Gesang zu einem Element wird.

Die Drones der Klarinette

Volcano the Bear überschreiten so viele Genregrenzen, dass sich keine markante Klangsignatur herausbildet. Trotzdem entstehen immer wieder magische Momente, etwa bei einem Song für zwei Bassklarinetten. Klarinettenklang wird im Allgemeinen mit Volksmusik oder Swing assoziiert. Volcano the Bear entlocken ihren Holzblasinstrumenten aber Drones und loopen den monoton anschwellenden Brummton zu einer Melodieschleife.