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So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über High-cycle FatigueKlassenkampf mal ganz in Ruhe

Es ist zwar nicht die schlimmste, aber doch eine besonders perfide Gemeinheit des kapitalistischen Normalzustands, dass er selbst seine angenehmeren Seiten vergiftet. Die Freizeit zum Beispiel, oder gesundes Essen. Dass es historisch überhaupt möglich war, dem Kapital solche Vorzüge abzuringen, liegt ja vor allem daran, dass wir uns damit seelisch und körperlich fit halten für die nächste Runde Ausbeutung. Und gerade weil man im Urlaub oder beim Feierabendbier über so was nicht gern nachdenkt, ist es umso erfreulicher, wenn die Kunst einmal nicht mitmacht – und einem solche Zusammenhänge mitten rein in die schönste Zerstreuung spuckt.

„High-cycle Fatigue“, heißt die neue Gruppenausstellung im Bremer Künstlerhaus, was soviel heißt wie „Materialermüdung“ bei langem Durchlauf. Gemeint ist dabei durchaus die von Werkstoffen, aber eben auch jene der arbeitenden Menschen, der ausgebeuteten Natur – und ihres Verhältnisses zueinander.

Gillian Brett hat sich etwa mit „Smart Food“ auseinandergesetzt, diesen mehr oder weniger wissenschaftlichen Versuchen, das eigene Essen nährstoffmäßig so zu optimieren, dass man am Ende schöner, schlauer oder wacher wird – in kurz: verwertbarer. Dargestellt hat Brett diesen Unfug als einen Klumpen in Kunstharz gegossenen Elektroschrotts. Kabel, Platinen, Steckverbindungen und so weiter, drehen sich in einem durchsichtigen Dönerspieß in kontemplativer Ruhe um die eigene Achse. Einmal pro Runde knarzt es ganz angenehm dabei.

Auch sonst fällt dieser Klassenkampf hier ausgesprochen behaglich aus. Fermín Jiménez Landa hat Baumfällungen im Urwald gefilmt, sie im Loop hintereinander geschnitten und mit sphärischem Gedudel unterlegt. Ein Schreckensbild wären diese reihenweise fallenden Bäumen, wenn man nicht wüsste, dass hier ein Palmöl-Feld auf Sumatra mit besten Absichten gelichtet wird: um nämlich wieder Platz für echte Natur zu machen. Aber auch für sich ist das ein sehr ruhiger Film, mit blauem Himmel und wie gemalten Landschaften. Selbst die niedergehenden Bäume rascheln ganz entspannt wie im säuselnden Wind, während vom Aufprall kaum etwas zu hören ist. Auch Hauch von Ewigkeit, wenn man’s kitschig mag.

Möglich, dass auch die globale Revolte ihre Streicheleinheiten braucht, so wie der Konformismus seine leichtverdaulichen Extasen. Vielleicht auch nicht. Es wäre jedenfalls Quatsch, diese vielschichtige Schau über Leben, Arbeit und Ressourcen auf diese Stoßrichtung zu reduzieren. Sie glänzt gerade darin, Zwischentöne rauszukitzeln.

Das gilt auch dort, wo es noch explizierter wird. So etwa in der Videoarbeit „Eye Farm“ von Beny Wagner, der die Bildwelten der Zurichtung von Mensch und Natur verbindet. Da gibt’s Drohnenflüge über scheinbar endlose Weizenfelder neben Videospielbildern aus einem Landwirtschaftssimulator. Eine kantig animierte Figur rennt planlos über ihr virtuelles Gehöft, während in der Bildschirm­ecke Zahlen durchrattern: Ernte, Darlehen, Arbeitszeit, Profit. Im Text dahinter ist vom Prozess der Zivilisation zu hören, wie Landwirtschaft einmal Kultur gestiftet und Ländergrenzen vorgezeichnet hat. Und immer wieder Raster, mal die der Ackerfurchen, dann einfach ins Bild gezeichnete. Es herrscht ein beknacktes Pathos, das sich wieder und wieder selbst zerlegt. Ohne Hektik, wie gesagt, dafür aber von umso schneidenderer Dringlichkeit. Als wollte diese Ausstellung einem sagen: „Komm endlich mal runter von deiner überdrehten Entspannerei!“

Ausstellung bis 19. April 2020, Künstlerhaus Bremen

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