berliner szenen: Wie ein Crash-Test-Dummy
Ich bin spät dran. Natürlich ist der Verkehr schuld. Vielleicht auch die Tatsache, dass ich mich weigere, einen Wecker zu benutzen, um meinen natürlichen Schlafrhythmus nicht zu stören – und der sieht nun mal leider manchmal vor, dass ich bis Viertel vor neun schlafe.
Jedenfalls: Ich bin spät dran. Und je näher ich meiner Arbeitsstelle komme, desto zäher geht es voran, denn ich muss durch das Nadelöhr Moritzplatz. Eigentlich ist der Moritzplatz natürlich kein Nadelöhr, sondern ein zweispuriger Kreisverkehr, aber dank diverser Baustellen ist er seit einer halben Ewigkeit ein halbspuriges Desaster.
Auf voller Lautstärke dröhne ich die Restmüdigkeit und schlechte Laune mit Shindys „Drama“ weg. Er rappt gerade: „Fast Life wie ’n Crash-Test-Dummy“, als ich im Kreisverkehr von einer Gruppe radelnder Polizisten in Warnwesten umschlossen werde. Der Polizist direkt neben mir schaut mich an. Ich ahne schon, was jetzt kommt: Mit Kopfhörern fahren ist gefährlich, Sie sollten lieber einen Helm tragen, außerdem haben Sie hier gerade jemanden gehörig geschnitten.
Doch es kommt ganz anders. „Sauerei, die Radwege hier“, sagt er. Ich denke erst, ich habe mich verhört. Aber Shindys „Dodi“ liegt gerade in den letzten Zügenm und es folgt ein gesprochenes Interlude, sodass ich den Polizisten sehr gut verstehen kann. „Fahren Sie doch mit uns weiter auf der Straße, das ist einfacher“, sagt er, „Sie haben es ja bestimmt eilig.“ Dankend nehme ich an. In einer Polizeieskorte fahre ich die nächsten paar Blöcke in Rekordzeit. Ich muss keine Angst haben, von einem aggressiven Autofahrer angehupt oder auch nur überholt zu werden. Kurz vor meiner Arbeitsstelle verabschiede ich mich. Der Polizist ruft mir noch etwas hinterher, aber ich kann ihn nicht verstehen. Der nächste Track hat angefangen.
Laura Sophia Jung
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