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Schönheit als Ideologie

Mit ihrer Schau „Beauty“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ideologisieren Stefan Sagmeister und Jessica Walsh in kaum noch vertretbarem Maße Schönheit

Sagmeister & Walsh, „Color Room“ 2018/19, in Kooperation mit Back­hausen MAK Wien Design­labor Foto: Aslan Kudrnofsky/MAK Wien

Von Falk Schreiber

Der Mann hat eine Vision: die Welt aus der Geschmacklosigkeit des Funktionalismus zu befreien. Stefan Sagmeister steht im Treppenhaus des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe und doziert. „Funktionalismus funktioniert nicht!“, ein Satz wie gemacht als T-Shirt-Slogan, und Sagmeister, vom Museum bescheiden als „Superstar des Grafikdesigns“ vorgestellt, hat natürlich Beispiele für dieses Nichtfunktionieren zur Hand: Plattenbauten etwa seien reiner Funktionalismus, aber weltweit stünden sie leer, verrotteten, würden abgerissen. Und ein Gebäude, das höchstens 40 Jahre stehe, funktioniere definitiv nicht. Im Vergleich zu den Pyramiden. Oder dem Pantheon in Rom.

Sagmeister eröffnet in Hamburg die Ausstellung „Beauty“, entwickelt gemeinsam mit seiner Partnerin Jessica Walsh ursprünglich für das Wiener MAK und das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. An der Elbe ist die Schau um ein umfangreiches „Beauty“-Archiv aus der eigenen Sammlung erweitert. Museumsleiterin Tulga Beyerle betont, wie optimal die Räume in der Hansestadt für die Präsentation geeignet seien, in einem Museumsbau, der architekturästhetisch zwischen dem Wiener Haus und dem zeitgenössischen Gebäude in Frankfurt stehe. Und ja, das Museum für Kunst und Gewerbe bietet Sagmeister und Walsh ausreichend Fläche, die Ausstellung wirken zu lassen, stellt Design und Alltag, Kunst und Künstliches nebeneinander, lässt nicht zuletzt auch Humor zu, bietet an, selbst aktiv zu werden. Und ermöglicht bis zu einem gewissen Grade kreative Reibung.

Denn Sagmeister hat ja recht: „Schönheit ist tief im Menschsein verwurzelt, Schönheit hat einen messbaren Einfluss darauf, wie wir uns bewegen.“ Deshalb braucht auch der öffentliche Raum Schönheit, und wo dieser Aspekt vernachlässigt wird, leidet die Lebensqualität des Menschen. Das weist die Ausstellung am Beispiel von Stadtraumästhetiken nach: Die positive Veränderung der brasilianischen Metropole São Paulo, nachdem Bürgermeister Gilberto Kassab 2007 die monumentale Außenwerbung verbieten ließ. Oder die albanische Hauptstadt Tirana, die unter Bürgermeister Edi Rama zwischen 2000 und 2011 massiv aufgehübscht wurde, was das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie stärkte (und außerdem einen Zuwachs an Investitionen in Tirana zur Folge hatte). Dem gegenüber steht die auch in der Hamburger Ausstellung erwähnte Erkenntnis, dass ein übertrieben großes Augenmerk auf Schönheit Gefahr läuft, in den Kitsch abzugleiten.

Folgen für die Ausstellung hat diese Erkenntnis allerdings nicht. Mehrere Fotos zeigen Friedensreich Hundertwassers ornamentverliebte Umgestaltung einer Wiener Müllverbrennungsanlage. Die Bildunterschrift betont dann, dass der Künstler mit dieser Architektur zum Gespött von Intellektuellen wurde, um gegen Letztere nachzulegen: „Wir würden lieber in der Nachbarschaft der Hundertwasser-Anlage als einer rein funktionalen, regulären Müllverbrennungsanlage wohnen.“ Dabei wohnt wohl keiner gerne in der Nähe einer Müllverbrennungsanlage, egal, ob sie goldene Kuppeln trägt oder nicht.

Vision und Behauptung

Sagmeisters Vision schlägt leider in Ideologie um: Alles an „Beauty“ ist Kampf gegen den Funktionalismus – und in der Behauptung von Funktionalismus als weltweit durchgesetztem Mainstream schwingt eine unangenehme Elitenfeindlichkeit mit. Und wenn Platon zitiert wird, als wahrscheinlich erster Philosoph, der mit dem Satz „Was gut ist, ist schön, und was schön ist, ist gut“ eine Theorie der Schönheit formulierte, dann wissen Sagmeister und Walsh nur ein paar Schritte später, was schön ist: „Symmetrie, Einfachheit, Balance, Klarheit, Kontrast und Proportion“.

Immer wieder werden in der Ausstellung bedenkenswerte Erkenntnisse so weit simplifiziert, dass es nichts mehr zu bedenken gibt. Die Gleichförmigkeit der globalen Architektur bedeutet einen Verlust an Schönheit? Zweifellos. Aber Sagmeister und Walsh holzen ohne Rücksicht auf Verluste drauf los und nieten alles um, was ihnen im Weg steht. Internationaler Stil, Bauhaus, Brutalismus, Postmoderne sind zwar ganz unterschiedliche Architekturstile, für sie aber sind sie alle funktionalistisch, also verachtenswert. Auch weil sie einerseits aus einem linken Gleichmacher­impuls entstammten, andererseits aber einen Zug ins Faschistoide hätten: schließlich habe Le Corbusier mit dem Vichy-Regime zusammengearbeitet und der Bauhäusler Fritz Ertl die Bauleitung von Auschwitz verantwortet. Freundlich gesagt, bewegen sich hier Sagmeister und Walsh argumentativ auf ganz dünnem Eis. Aber so ist es eben, ist man der einsame Rufer wider den Mainstream.

Die großflächige Ausstellung stellt Design und Alltag nebeneinander, lässt Humor zu und ermöglicht kreative Reibung

Obwohl, Sagmeister sieht eine Zeitenwende nahen: Die Schönheit stehe vor einer Renaissance. „Es sind heute nur noch die mittelmäßigen Architekten, bei denen Schönheit verpönt ist“, behauptet er einfach mal. Und nennt als Beispiel für die Wiedergeburt der Schönheit die Elbphilharmonie, einen Bau, der als Konzertsaal rein auf seine Funktionalität hin designt wurde.

Trostlose Zweckräume

Ein weiteres Beispiel: U-Bahn-Stationen, einmal atemberaubend ausgestattete Untergrundpaläste in Moskau, einmal trostlose Zweckräume in München. Auch hier fände ein Umdenken statt, die Hamburger Station HafenCity Universität etwa sei im Vergleich zu älteren Haltestellen ein ästhetischer Gewinn. Was Sagmeister dabei übersieht: HafenCity Universität ist einer der wenigen Stationsneubauten der vergangenen Jahre. In die Erweiterung eines bestehenden Netzes wird natürlich mehr investiert als in eine x-beliebige Station wie zum Beispiel Lattenkamp, gebaut mit dem Großteil der Hamburger U-Bahn 1914.

So geht es die gesamte Ausstellung über: Ein Argument wird genannt und durch Ungenauigkeiten, Schnellschüsse und ideologische Voreingenommenheit gleich wieder entwertet. Immerhin, die Präsentation hat ihren Reiz, sie ist immersiv, sinnlich, auf dem Stand einer hochklassigen Design-Ausstellung des 21. Jahrhunderts. Schön also.

Bis 26. April, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Katalog (Verlag Hermann Schmidt) 39,80 Euro.

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