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Arbeitswelt und Gewalt

Das Kino Arsenal stellt das dokumentarische Werk des Filmemachers Gerhard Friedl vor. Das nur dreistündige Material gehört zum Originellsten, was der österreichische Film zu bieten hat

Von Silvia Hallensleben

Arbeitswelten im engeren und im weiteren Sinn waren ein thematischer Schwerpunkt der diesjährigen Duisburger Filmwoche. Da passte es gut, dass auch bei der festivalüblichen Buchpräsentation ein sogenanntes Arbeitsbuch vorgestellt wurde. Dies war, vom österreichischen Filmmuseum herausgegeben, dem 1967 in der Steiermark geborenen und 2009 durch Suizid gestorbenen Autor und Regisseur Gerhard Benedikt Friedl gewidmet, einem der originellsten Filmemacher der an Originalen nicht armen österreichischen Filmszene.

Die Veröffentlichung ist keine der üblichen interpretatorisch würdigenden Monografien, sondern führt – neben unterschiedlichsten Texten von Friedl selbst – in Gesprächen, Fotos und Dokumenten auf insgesamt 271 Seiten ausführlichst und erhellend in die Arbeitsprozesse hinter dem Werk. Das ist auch wegen Friedls frühem Tod schmal und umfasst mit einer spielfilmlangen und vier kürzeren Arbeiten insgesamt nur 180 Filmminuten. Doch die zeigen bald Profil in der Methode, „im Zusammenspiel der Montage ein zugleich kristallklares und merkwürdig hermetisch dicht geknüpftes Gewebe herzustellen“, wie es Herausgeber Volker Pantenburg in seiner höchst lesenswerten Einführung formuliert.

Wie es dazu kam, entnimmt man dem Band auch aus verschiedenen Stadien von Projektentwürfen, -anträgen und den Drehbüchern von Friedls beiden zentral wichtigen Filmen. Dabei ist zu erfahren, dass der Film, mit dem Friedl 1997 zuerst Furore machte („Knittelfeld“), ursprünglich wohl als konven­tioneller Dokumentarfilm über eine Familiengeschichte der Gewalt in der steiermärkischen Provinz intendiert war. Doch bei der Arbeit entschlackte sich das Projekt zusehends. Und in der Endfassung des Films steht der im Voice-Over fast teilnahmslos verlesenen Chronik von Brutalitäten im Bild nur noch eine Folge sich zunehmend entschleunigender Panorama­schwenks gegenüber.

Diese Erzählweise, bei der, so wieder Pantenburg, „Text und Bild sich ab und zu berühren und oft eher von ferne grüßen, sich manchmal auch vorsätzlich verfehlen“, hat Friedl in dem Film „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“ (2004) ausgebaut und dabei die stilistische Palette um ausgiebige, großenteils improvi­sier­te Kamerafahrten ­erweitert. Die Sprecherstimme dieser Abschlussarbeit Friedls an der Münchener Hochschule für Film und Fernsehen erzählt unter Nennung vieler illustrer Industriellennamen eine zwischen kapitalismuskritischer Anklage und Kolportage oszillierende Chronique scandaleuse westeuropäischer Nachkriegswirtschaft mit oft parodistischen Zügen. Und weil sich durch die ex­treme Detailversessenheit die ökonomisch-strukturellen Zusammenhänge zusehendes in Unschärfe auflösen, ist „Amerongen“ auch ein etwas überambitionierter Metafilm über Probleme des Erzählens.

In seiner nächsten Arbeit (Arbeitstitel „Panik von 94“) wollte Friedl dann Kapital- und Arbeitskämpfe zum Ende des 19. Jahrhunderts in den USA erforschen, scheiterte aber nach langer Recherche laut eigener (im Buch mit ausführlichem E-Mail-Verkehr belegter) Auskunft gegenüber Produktion und Redakteur mangels Verfügbarkeit materieller Zeugnisse vor Ort.

Auch ein während eines Stipendiums in den USA gemeinsam mit der Künstlerin Laura Horelli begonnenes Projekt über Hotelangestellte in Las Vegas wurde zwar als Installation aufgeführt, blieb filmisch aber im Stadium einer Materialsammlung stecken.

Das stellt die Frage, ob Friedl letztlich vielleicht an seinen übergroßen Ansprüchen an sich selbst scheiterte. Weiterbringen könnten da drei von vielen eingeladenen Zeitgenossen begleitete Programme im Arsenal, wo Gerhard Friedls Werk und das „Arbeitsbuch“ vorgestellt werden.

5. 12., Arsenal, 20 Uhr, mit Gästen; 7. 12., Arsenal, 19 Uhr, und 21. 12. Uhr, mit Gästen

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