heute in hamburg: „Wer gehört dazu?“
Michael Wildt, 65, ist Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Humboldt-Universität Berlin.
Interview Alexander Diehl
taz: Herr Wildt, was hat die Idee „Volk“ mit Abgrenzung zu tun?
Michael Wildt: Wenn man vom Volk spricht, muss man sofort definieren, wer dazu gehört und wer nicht. Die Kriterien für diese Zugehörigkeit sind, seit dieser Begriff Grundlage der Demokratie ist, umstritten. Frauen gehörten bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht zum Volk, ebenso wenig im 18. und 19. Jahrhundert Sklaven oder in Nordamerika und Australien die indigene Bevölkerung.
Volk kann ja auch eine Abgrenzung zwischen unten und oben markieren.
Volk ist nie nur das politische Volk der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Volk kann auch sozial gespalten werden zwischen reichen Oberen und armen Unteren. Eine solche vertikale Spaltung ist zentral für den linken Populismus, wie ihn etwa Chantal Mouffe vertritt. Da steht dann die große Mehrheit der Bevölkerung gegen die wenigen globalen Kapitalisten.
Noch mal enger geführt ist die Idee der „Volksgemeinschaft“. Die assoziieren wir mit dem Nationalsozialismus – es gibt den Begriff aber schon länger.
Politisch wirksam wird „Volksgemeinschaft“ im Ersten Weltkrieg, als Mobilisierungsbegriff, ausgedrückt von Wilhelm II.: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Zur Volksgemeinschaft in diesem inkludierenden Sinn gehörten auch Sozialdemokraten und jüdische Deutsche. Anfangs hofften diese Gruppen, durch ihre Integration in die Kriegsnation Emanzipation und Gleichberechtigung erreichen zu können. Die Ernüchterung folgte allerdings auf dem Fuße, der Antisemitismus brach im Ersten Weltkrieg heftig wieder auf.
Und am anderen Ende des Spektrums?
Buchvorstellung und Gespräch „Die Ambivalenz des Volkes. Der National-sozialismus als Gesellschafts-geschichte“: 20 Uhr, Buchladen Osterstraße, Osterstraße 171
Für die völkische Rechte, insbesondere die NSDAP, ging es in erster Linie darum, wer nicht zum Volk gehören durfte: allen voran die Juden.
Wie viele dieser Ideen hallen wider im heutigen Populismus?
Als Historiker kann ich sagen: Es gibt heute keine Volksvorstellung, die es nicht schon mal gegeben hat. Man kann Volk verfassungsrechtlich definieren oder sozial verstehen, es lässt sich über Sprache und Kultur bestimmen. Man kann es aber auch ethnisieren über Abstammung und Genealogie bis hin zu rassistischen Blutsvorstellungen wie die nationalsozialistische Volksgemeinschaft. Wer heute sagt: „Muslime gehören nicht zu uns“, der spricht nur an der Oberfläche von Religion. Dahinter liegt vielmehr die Vorstellung eines grundsätzlich Anderen, das ausgegrenzt werden soll. Für mich ist entscheidend: Kann jemand selbstbestimmt über seine Zugehörigkeit entscheiden oder wird die Zugehörigkeit durch Fremdbeschreibungen definiert?
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