Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Germania, das war unter anderem der Name, den Berlin ab dem Jahr 1950 tragen sollte. Wenn es nach dem Willen der Nazis gegangen wäre. Die Planungen für die faschistische Megametropole Germania hatten schon begonnen. Der Krieg verhinderte Gott sei Dank ihre Vollendung. Und so blieb Berlin Berlin. „Germania“, so heißt auch ein Drama des Schriftstellers Heiner Müller, der sich wie kaum ein deutscher Dramatiker des 20. Jahrhunderts an der deutschen Geschichte abgearbeitet hat. Er lebte in der DDR, das aus seiner Sicht das bessere Deutschland war. Sah über dem Westberliner Europacenter dämonisch den Mercedes-Stern kreisen, Insignie des Kapitalismus und ähnlich finsterer Mächte, die von Deutschland Besitz ergriffen hatten. So ist es u. a. eben in „Germania. Tod in Berlin“ beschrieben. Ein historisches Stationendrama, das zwischen 1956 und 1971 entstand und an den Abgründen der deutschen Geschichte entlang geschrieben ist. Ein zweites Germania-Stück entstand nach der Wende und wurde 1995 am Bochumer Schauspielhaus uraufgeführt. Nun, wo überall der dreißigste Jahrestag des Mauerfalls begangen und beschworen wird, hat Regisseurin Claudia Bauer für die Volksbühne Heiner Müllers Germania-Komplex noch einmal aufbereitet und vollzieht darin die Geburt einer Nation aus dem Geist des Krieges nach, die vielleicht eine Missgeburt war. (Volksbühne, Premiere 17. 10., 19 Uhr).
Wenigstens kann man froh sein, dass es das schaurige Zukunftsland Germania nie gegeben hat, das die Nazis projektiert hatten. Und so wird es hoffentlich bleiben. Denn Zukunft ist ja grundsätzlich etwas, aus dem Hoffnung in die Gegenwart strahlt. „Futureland“ hat die Theatermacherin Loa Arias deshalb ihren neuen Theaterabend überschrieben, der sich mit der Frage auseinandersetzt, was Eltern dazu treibt, ihr Kind alleine auf gefahrvolle Reise nach Europa zu schicken – und was Kinder dazu treibt, diese Reise auf sich zu nehmen. Die Frage entstand auf der Basis der Tatsache, dass über 50 Prozent der Geflüchteten minderjährig sind (Gorki Theater, „Futureland“, ab 18. 10., 20 Uhr).
Kinder sind in gewisser Weise immer Zukunft – auch für ihre Eltern. Was aber, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben? Dieses hat Maria erlebt, die Titelheldin des Romans „Marias Testament“ des irischen Schriftstellers Colm Tóibín. Der Regisseur Elmar Goerden hat den Stoff nun fürs Renaissance Theater adaptiert. Und für die Schauspielerin Nicole Heesters, die hier als verwaiste Mutter mit Gott und dem Schicksal rechtet (Renaissance Theater: „Marias Testament“, Premiere 22.10., 20 Uhr).
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