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Filmische Spuren der Zeit

Der libanesische Bürgerkrieg machte Jocelyne Saab zur Dokumentarfilmerin. Das Kino Arsenal widmet der im Januar verstorbenen Regisseurin eine Werkschau

„Le Sahara n'est pas à vendre – Die Sahara wird nicht verkauft“ (1977) über das Wüstenleben der Sahrauis läuft am 8. Oktober im Dokumentarfilmprogramm Foto: Foto:Arsenal

Von Fabian Tietke

Leicht misstrauisch blickt die Frau in Uniformjacke, eine Tasse Kaffee und eine Kippe in der Rechten, in die Kamera. Zwischen Ruinen von Häusern sitzt ein Soldat auf einem Frisörstuhl, ein Kino wirbt auf einem zerschossenen Schild für Ken Russells „Women in Love“. Alltagsszenen in Beirut inmitten des libanesischen Bürgerkrieges. Jocelyne Saabs Dokumentarfilm „Beyrouth, jamais plus“ („Nie wieder Beirut“) zeigt eine Stadt im Chaos, deren Bewohner sich nicht nehmen lassen, eine Illusion von Alltag aufrechtzuerhalten. In den Straßen: Katzen und Kinder, durch den Krieg auf sich allein gestellt. Die Bilder werden begleitet von einem Kommentar, der auf halbem Weg ist zwischen der Routine einer Berichterstatterin und der Poetik späterer Filme Saabs.

Jocelyne Saab, geboren 1948 in Beirut, war Radiomoderatorin, Journalistin, Kriegsberichterstatterin als der libanesische Bürgerkrieg sie zur Dokumentarfilmerin machte. Im Januar ist Saab in Paris gestorben. Ab Freitag präsentiert das Berliner Kino Arsenal eine Auswahl ihres Werkes. Die Filmreihe ist ein Nachspiel einer Reihe, die das Filmkollektiv Frankfurt vor einiger Zeit präsentierte. Der Anlass für diese rare Gelegenheit Saabs Filme in Berlin zu sehen, ist der Erwerb von drei Filmen für den Verleih des Arsenals.

Saabs erster Spielfilm „Ghazl al-banat“ (Samars erste Liebe) überträgt die Beobachtungen der Dokumentarfilme, die während des Bürgerkriegs entstehen, in den Spielfilm. Die jugendliche Samar lebt in den Straßen Beiruts. Die Menschen leben in der Sicherheit ihrer Häuser und treffen sich noch immer in improvisierten Straßencafés. Auf einem ihrer Streifzüge trifft sie auf den Maler Karim, der sich in die Welt der Kalligrafie zurückgezogen hat. Samar verliebt sich in den deutlich älteren Mann.

In Saabs zweitem Spielfilm „Kanya ya ma kan, Beyrouth“ (Es war einmal … Beirut (Geschichte eines Stars) rasselt ein roter Mercedes durch die Ruinen Beiruts und bringt zwei junge Frauen, eine davon mit einer Filmrolle auf dem Schoß, zu einem mysteriösen Cinephilen. Die beiden jungen Frauen tummeln sich in einem alten Industriegebäude bevor sie den Mann schließlich im Keller, in einem Kinosaal finden, auf dessen Leinwand eine Tausendundeine-Nacht-Verfilmung läuft. In den Nebenräumen des Kinos findet sich ein Filmlager. Durch Ausschnitte aus historischen Filmen erzählt Saab in dem Film eine Geschichte Beiruts, aber auch der lebendigen Kino- und Filmkultur des Libanons in den Jahren vor dem Bürgerkrieg.

Zehn Jahre liegen zwischen Saabs Regiedebüt „Ghazl al-banat“ (Samars erste Liebe) und ihrem zweiten Spielfilm von 1995. Im Rückblick war die Zeit nicht gnädig zu der etwas schmalzigen Poesie der beiden Filme. Dafür erstrahlt aus ihnen umso mehr die Chronistin Saab. Die Stärke von „Ghazl al-banat“ ist denn auch weniger die fiktive Spielfilmhandlung als das Gespür für die Atmosphäre der Ruinen Beiruts und die präzise beobachteten Szenen, die sich nebenbei in ihnen abspielen. Das gilt in noch stärkerem Ausmaß für „Kanya ya ma kan, Beyrouth“, bei dem man sich freut, wenn die Rahmenhandlung zu Ende ist und man wieder abtauchen kann in die wunderbare Filmwelt, die der Film zeigt. In den Ausschnitten öffnet sich eine Schatzkiste. Die verschlungene Überlieferungsgeschichte der gezeigten Arbeiten hat sich ihnen bis ins Material hinein eingeschrieben: Die Farben sind teils verblichen und einem Rotstich gewichen, Schrammen bezeugen die Spuren der Zeit und dennoch, in den Filmausschnitten ist „Kanya ya ma kan, Beyrouth“ ein zeitloser Film von mitreißender Magie.

Bis in die 1990er Jahre arbeitete Saab kontinuierlich als Dokumentarfilmerin und brachte Szenen hervor, die einem noch heute den Atem stocken lassen. In „Beirut, meine Stadt“ von 1983 steht Saab im Bild vor den Trümmern des Hauses, in dem sie gelebt hat. Die Bilder des zerstörten Hauses ergreifen die Filmemacherin, der Film ist der Versuch einer Verarbeitung, während die Stadt von israelischen Truppen belagert wird und der Bürgerkrieg weiter tobt. Den übrigen Film lang spricht eine männliche Stimme einen poetischen Off-Kommentar. Doch für die ganze Dauer hallt ein Satz nach, den Saab beim Weggehen gesagt hat: „Im Grunde ist das nicht schlimm, es sind ja nur Steine. Aber dieses Haus ist die Tradition und es bedrückt mir das Herz.“

Es war einmal Beirut – Hommage Jocelyne Saab, 4.–11. 10., Kino Arsenal

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