berliner szenen: Nicht wirklich deine Liga
Nachts in Kreuzberg. Es ist kaum etwas los auf den Straßen. Ich schlurfe müde nach Hause. In meiner Tasche krame ich schon nach dem Schlüssel. Als ich in meine Straße einbiege, sehe ich in etwa 50 Metern Entfernung eine Gruppe Halbstarker an den parkenden Autos rumlungern. Ich mustere sie und versuche gleichzeitig den Anschein zu erwecken, dass ich sie gar nicht wahrnehme. Eine Fähigkeit, die ich perfektioniert habe: Männer bloß nicht durch irgendeine Form von Aufmerksamkeit zur Interaktion anregen, aber gleichzeitig immer im Auge behalten, falls sie etwas vorhaben. Man weiß ja nie.
Und siehe da: Die fünf Halbstarken haben natürlich etwas vor. Als ich auf ihrer Höhe bin, löst sich der Schlaksigste aus der Gruppe, schlurft ein paar Schritte auf mich zu. „Entschuldigung“, sagt er. Ich hoffe, dass er vielleicht nur nach Feuer fragen will. Außerdem sehe ich es als meine Aufgabe, gegen meine eigenen Vorurteile anzukämpfen. Deshalb bleibe ich, wenn auch widerwillig, stehen und sage: „Ja?“ Ich bin erschrocken, wie offensichtlich genervt ich klinge. Der lange Dünne auch. Er macht einigermaßen große Augen und stottert ein bisschen, als er sagt: „Also, mein Kumpel, also, der da drüben“, er deutet auf einen dunkelhaarigen Kleinen (Typ Fitnessstudio, mindestens sechs Tage die Woche), „der findet Sie gut.“ Ihm entgleist das coole Gesicht, als er merkt, dass er mich aus Reflex gesiezt hat. Peinlich. Es bleibt ein schiefes Grinsen.
Einige für ihn unangenehme Sekunden Schweigen folgen, in denen ich auskoste, dass wohl ausnahmsweise ich die Gefahr bin. Seine Kumpels feixen, machen keine Anstalten, ihm zu helfen. Dann sagt er fast entschuldigend: „Na ja, der ist wohl nicht wirklich deine Liga.“ Ich antworte: „Ne, haste recht. Danke trotzdem.“ Jetzt kann ich gut schlafen.
Laura Sophia Jung
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