berliner szenen: Alle sehen mich komisch an
Unser Zug ist klein. Ich steige am Ostbahnhof ein, meist treffe ich da schon eine meiner Freundinnen. Heute sitzt nur ein Herr aus meiner kleinen Stadt mit im Zug, den ich seit Jahren grüße. Unterhalten haben wir uns nie, seinen Namen kenne ich nicht. Ich muss zur Toilette und lasse meine Sachen liegen, ohne was zu sagen.
Als ich zum Platz zurückkomme, ist der Mann weg. Mein Rucksack und mein Mantel auch. Das ist natürlich völliger Quatsch, warum sollte der immer freundliche Herr mit meinen Sachen in Lichtenberg aussteigen? Ich lächle die Menschen an und gucke auf die Sitze weiter hinten. Vielleicht habe ich doch ein Stück weiter hinten gesessen? Vielleicht ist er ausgestiegen, aber meine Sachen sind noch da?
Wenn jetzt die Schaffnerin kommt, wird es peinlich. Doof, wenn man so vertrauensselig ist und seine Habseligkeiten einfach auf dem Sitz liegen lässt. Keine Fahrkarte, kein Geld, um die Strafe zu zahlen, kein Handy, um jemanden anzurufen. Ich gehe wieder zur Toilette und drehe auf halbem Weg wieder um. Ich habe einfach nicht genau genug nachgesehen. „Kann ich Ihnen helfen?“ Die Frau schaut besorgt aus, und überhaupt alle Leute sehen mich komisch an.
In welche Richtung bin ich gelaufen, als ich zur Toilette wollte? Gegen die Fahrtrichtung oder mit der Fahrtrichtung? Ich bin ganz sicher auf der richtigen Seite des Zuges. Aber es ist zu peinlich, hier weiter zu suchen also laufe ich in die andere Richtung. Da sitzt der Herr an seinem Platz und schaut auf sein Handy. Ihm gegenüber liegen meine Sachen auf dem Sitz.
„Und?“, fragt der Liebste, als ich ihm abends die Geschichte erzähle. „Hast du alle Leute vor lauter Erleichterung umarmt?“ – „Nee, das nicht“, sage ich, „aber irgendwie war ich doch froh, dass das kurze Gefühl vom falschen Film vorüber war.“
Elke Eckert
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