Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein“, schrieb der Philosoph Walter Benjamin 1940, wenige Monate vor seinem Freitod auf der Flucht vor den Nazis. Und zwar in seinem berühmten Aufsatz „Über den Begriff der Geschichte“. Was das konkret bedeutet, kann man zum Beispiel an Heinrich von Kleists Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ studieren, die kurz nach der Französischen Revolution auf Haiti spielt. Eine schwarz-weiße Liebesgeschichte, in der der Weg zur Wahrheit und auch zur Veränderung der repressiven Verhältnisse bereits vom rassistisch geprägten Blick Kleists verstellt wird. Denn weiß steht für die Werte der Aufklärung und schwarz für das Gegenteil. Doch so kann es ja nicht sein. Deshalb hat der Dramaturg Necati Öziri nun eine Antwort auf Kleist, beziehungsweise einen Widerspruch verfasst, den Sebastian Nübling in Szene gesetzt hat. Nach der Zürcher Uraufführung ist das Stück nun am koproduzierenden Gorki Theater angekommen (Gorki Theater, ab 30. 8., 20 Uhr).
Das rassistische Erbe, welches jeder in sich trägt, kann nur überwunden werden, wenn es zunächst einmal von jedem einzelnen als existierend anerkannt wird. Vom Erben und seinen Dimensionen weit über materielle Hinterlassenschaften hinaus, handelt auch der Abend „Lear“, den Sebastian Hartmann auf der Basis von William Shakespeares Königsdrama und dem neuen Theatertext „Die Politiker“ von Wolfram Lotz am 30. 8. Deutschen Theater herausbringt. Alles beginnt, weil ein alter König sein Reich vererben will, und die Anteile nach dem Maß der ihm entgegengebrachten Liebe bemessen will. Als sich die Unvermessbarkeit von Liebe offenbart, wird die Tochter enterbt. Doch ist es überhaupt möglich, „nicht zu erben, nicht in Sprachen, Geschichten, Traditionen und Weltzustände hineingestellt zu sein?“, will Sebastian Hartmann nun wissen. „Inwieweit lässt sich ein Erbe ausschlagen, inwiefern wählen? Und umgekehrt, was ist es, das wir weitergeben? Kann man geben, was man nicht hat? Woraus wird Morgen gemacht sein?“ (Deutsches Theater, Premiere 30. 8, 19 Uhr).
Der Wunsch, das Geld – sowohl ererbtes als auch selbst verdientes – möge sauber sein, spiegelt sich in dem Wort „Geldwäsche“. Unter dieser Überschrift machen sich im Theater unterm Dach nun fünf Musiker*innen und Performer*innen unter der Leitung von Anton Wassiljew daran, sich aus der persönlichen Verstrickung in weltweite Kapitalströme zu befreien, in dem sie ihr eigenes Geld waschen (Theater unterm Dach, 30. 8. bis 1. 9., jeweils 20 Uhr).
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