: Töne der Verunsicherung
Haltung statt Identität: Eindrücke vom Musikfestival Fuchsbau, das am Wochenende auf dem Gelände einer Ziegelei nahe Hannover stattgefunden hat
Von Robert Mießner
Die Unterschiede zwischen einem Musikfestival und einem Mixtape liegen auf der Hand: Versuchen Sie mal, ein Festival zurückzuspulen! Zudem, auf eine Kassette passt definitiv kein Dixi-Klo. Es gibt dennoch eine entscheidende Gemeinsamkeit: Festival wie Tape brauchen gleichzeitig Kontraste und einen Flow. Im Fall des Fuchsbau-Festivals, das am späten Sonntagabend nahe der niedersächsischen Eisenbahnerstadt Lehrte im Großraum Hannover, dort, wo das Navi „Straße ohne Namen“ anzeigt, seine Pforten schloss, war für beides gesorgt. Bei 31 Musikdarbietungen, 11 Podiumsdiskussionen, dazu Kunstaktionen, Lesungen, Filmvorführungen, einer Modenschau und einer Lichtinstallation innerhalb von drei Tagen und Nächten mit 3.000 Teilnehmern, war das auch zwingend. Aus dem 2012 erstmals in einem stillgelegten Hannoveraner Schwimmbad veranstaltete Fuchsbau wurde 2019 ein auf vier Bühnen spielendes, begehbares Mixtape.
Zum Auftakt am Freitag spielte die junge Hamburger Musikerin Ilgen-Nur. Seit 2015 steht der Fuchsbau auf seinem jetzigen Gelände, dem Areal einer ehemaligen Ziegelei, die in den achtziger Jahren besetzt wurde, sagt Christoffer Horlitz, einer der Organisatoren. Irgendwie erschien es passend, wenn Ilgen-Nur mit ihrem so eingängigen wie in den richtigen Momenten spröden Indie-Pop zwischen Wohnhäusern, Bauwagen und Holzhütten den Ort bespielt, an dem 1976 die Firma Zytan AG sich an der patentierten Herstellung wärmedämmernder Ziegel versuchte, aber bald scheiterte. In der Industrieruine entstand 1987 das Festival Zytanien, an dem das Fuchsbau „wie ein UFO“ andockt, erklärt Horlitz. Zytanien ließe sich als „hippiesk“ bezeichnen, fügt er hinzu. Auf die Frage, ob es sich beim Fuchsbau-Festival um „Hippie 2.0“ handele, lacht er, der sich selbst nicht als Hippie bezeichnet: „Wenn man mit hippiesk Nachhaltigkeit verbindet, wenn man uns als politisierte Generation betrachtet, dann schon.“ Politik wird hier nicht mit dem Holzhammer gepredigt.
Saxofonekstase auf der Storno-Bühne
Ilgen-Nur folgte ein sehr weit von Rockmusik entfernter Soloauftritt des norwegischen Saxofonisten Bendik Giske. Auf der Storno-Bühne – alle Aufführungsorte trugen der Struktur eines Supermarkts entlehnte Namen –, gab er einen Hinweis, wie die Jazzmode 2019 aussehen könnte: Giske nämlich trug auf seinem mikrofonierten Körper eine Art kurzes Matrosenkostüm, dazu spitze Schuhe und Kniestrümpfe. Seine Version von Jazz speiste sich in einer Wiederholungsästhetik aus den Loops von Techno. Dann gesellte sich zu Giske ein Tänzer im knappen Outfit, der zum Ende hin eine von innen beleuchtete Gesichtsmaske mit ausladenden Tentakeln trug, die er in Ekstase wirbeln ließ.
Ein wilder Auftritt, wild wie der sich auf der nächsten Bühne anschließende Gig des hanseatischen Elektro-HipHop-Duos Preach & Natascha P. Das Publikum, zuvor hatte es höflich gewippt, rotierte nun. Und dann noch ein Kontrast, der geräuschhaltige, fast schon an Progrock und Kunstlied erinnernde Auftritt des Berliner Techno-Produzenten Sascha Ring alias Apparat. Genauso schön war’s beim Torchsänger Jungstötter am Folgetag. Gibt es bei aller Vielseitigkeit eine Fuchsbau-Klangsignatur? „Sperrig, aber superschön“, wirft Christoffer Horlitz ein und spricht von „epischer Ästhetik“, einer, die nicht bewusst geplant gewesen sei, auch wenn er unterstreicht: „Es geht nicht um Genres, sondern um Haltungen. So, wie es bei Bendik Giske um mehr geht als um ein Saxofon.“
Stichwort Haltungen oder Positionierungen, ein Wort, das der Berliner Autor Max Czollek als Alternative für Identitätspolitik auf einer der Podiumsdebatten vorschlug: Wenn auf dem Fuchsbau-Wochenende T-Shirts und Taschen mit Aufschriften wie „Queer Family“ und „Jugend gegen G20“ getragen wurden, dann dürfte es sich dabei keinesfalls um textile Äußerlichkeiten gehandelt haben. Einer der Besucher erschien gar mit virilem Kinn- und Backenbart, nur hatte er ihn sich nicht wachsen lassen, sondern mit türkisfarbenem Glitzer-Make-up aufgetragen. Wenn es dann bei der Getränkebestellung hieß, „wir haben nur auf dich gewartet“ und von einem der Imbissstände der Jazzpianist Thelonious Monk, komplett mit Hut und Sonnenbrille grüßte, wollte man sich auf einer Insel wähnen. „Natürlich ist hier eine Parallelwelt“, sagt Christoffer Horlitz. Doch das ist nicht alles. Horlitz spricht von einem „Glücklichkeitszwang auf Festivals“ und betont: „Sinn der Sache ist aber, dass man sich nicht komplett fallenlassen kann.“ So tun, als wäre nix, das gehe nicht; dass sich beim Fuchsbau-Festival etwas beißt, sei gerade spannend.
Am Sonnabend und Sonntag gelangen Töne jäher Verunsicherung auf das Festival. Niklas Benjamin Hoffmann dirigierte das Orchester der Jungen Norddeutschen Philharmonie: Es brachte unter dem Titel „Quantified Concert“ ein Stück des Komponisten Eric M. Domenech zur Aufführung. An dessen Anfang setzten die Musiker den Dialog einer Frau mit einer computergenerierten Hilfe-Hotline. Zwischen beiden entwickelte sich ein aberwitziger Dialog, gipfelnd in einer Groteske, welche bald nicht mehr zum Lachen einlud. Im zweiten Teil des Auftritts interpretierte das Orchester dann eine Komposition des Romantikers Richard Strauss, die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Der Moment, als nach einem verlangsamten, leiser werdenden Herzschlag die Streicher einsetzten, war intensiv. Vorgeschaltet war das Orchesterkonzert dem Auftritt der Noise-Künstlerin Rosaceae. Zum Beginn eine Irritation: Die Frau auf der Bühne hatte am Vorabend als Natascha P. bewiesen, wie Politik und Party zusammengehen und tanzend das Pult ihres DJs Babyblue erklommen. Nun stand sie hinter einem Pult mit Klangerzeugern und Effektgeräten, auf denen sie einen dunklen Ambientsound generierte. Mehr und mehr Störgeräusche kamen hinzu, dazu Sprachsamples und hart akzentuierte Beats, bis aus der Versenkung ein deutliches Unbehagen wurde.
Hinter den Pseudonymen Natascha P. und Rosaceae steht die Musikerin, Autorin und Filmschaffende Leyla Yenirce. Ihr Album „Nadia’s Escape“ hat den Genozid des IS an den JesidInnen zum Thema, die Nadia im Titel heißt Nadia Murat, Friedensnobelpreisträgerin von 2018. Wenn Yenirce 2018 in ihrer Kolumne für das Missy Magazin wütend betonte, „dass KurdInnen nicht 24/7 über Krieg reden wollen“, muss darin kein Widerspruch liegen. Ein Possessivpronomen in ihrer Überschrift markiert den Unterschied: „Die Tanzfläche ist nicht dein Politikseminar.“
Das Fuchsbau-Festival 2019 war mehr als „Twist In My Sobriety“, ein Riss in der Nüchternheit, wie es in dem Achtziger-Jahre-Popsong Tanita Tikarams heißt, der am Sonntag über das Areal wehte. Zuvor hatten Sascha Ehlert und Cemile Sahin das Berliner Coffeetable-Literatur- und Popmagazin Das Wetter vorgestellt. Wetterfrosch Ehlert las aus „Ich verrinne“, einer Erzählung des Autors Juri Sternburg. In ihr begleitet der Protagonist einen Sterbenden, „im totalen Nichts, zwischen der Neonbeleuchtung und dem monströsen Arsch der keifenden Krankenschwester“. Was er sieht und spürt, ist: „Überall Linoleum. Dazu lebloser Limonenduft, bekannt aus Raststätten, Funk und Fernsehen.“ Sahin las aus ihrem bald im Korbinian Verlag erscheinenden Debütroman „Taxi“. In ihm holt eine 60-Jährige ihren in einem namenlosen Krieg gefallenen Sohn in einem Seriendrehbuch zurück. Aber der Soldat wird seine Uniform nicht los.
Ein Hinweis wird dann doch gegeben: Der für den Tod verantwortliche Offizier heißt Ali K., Mutter und Sohn werden ihn besuchen. Sie reisen als Mrs und Mr Gül. Das ist Türkisch und steht für: Rose.
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