: Ich bin eine unzuverlässige Erzählerin
Die australische Performancekünstlerin Nicola Gunn transformiert komplexe ethische Fragen in ekstatische Stand-up-Comedy mit Tanzeinlagen. Ein Gespräch über die Beziehung von Humor und Kunst anlässlich ihres Debüts beim Festival Tanz im August
Von Astrid Kaminski
Der Name Nicola Gunn steht in der angelsächsischen Welt für brillanten Humor. Nun hat eines ihrer Stücke bei der 30. Ausgabe des Berliner Festivals Tanz im August ihr Deutschland-Debüt. Beim Interview fallen vor allem ihre angenehm ruhige Stimme und die vielen „Ahhs“ auf, die ihr herausrutschen, wenn eigentlich noch viel mehr zu sagen wäre
Die Gefahr, etwas Falsches zu machen oder falsch verstanden zu werden, ist ein roter Faden in den Performances von Nicola Gunn. Sowohl in ihrer Heimat Australien als auch in den USA und Großbritannien überschlagen sich die Feuilletons vor Lob mit Beschreibungen wie „eine Meisterin der Rekursion“, „entwaffnend“ oder „grandios witzig“.
Vielleicht liegt das auch an ihrer Art, weder sich selbst noch andere zu schonen, aber dennoch niemanden auszuliefern oder bloßzustellen. In „At The Sans Hotel“ widmete sich die Solo-Performance-Künstlerin so genial wie verstörend der deutschen Migrantin Cornelia Rau, die an Schizophrenie erkrankt und in einem australischen Asylgefängnis festgesetzt wurde.
In „Working With Children“ thematisiert sie die Sexualität von Kindern. In ihrer aktuellen Stand-up-Comedy-Performance „Piece for Person and Ghetto Blaster“ spürt sie am Beispiel einer belgischen Ente dem Wertepluralismus, der ethischen Dimension von Konfrontation und der Frage nach, wann Menschen sich im Alltag einmischen sollen.
taz: Nicola Gunn, wie ist es für Sie, vor einem komplett neuen Publikum zu spielen?
Nicola Gunn: Meine Shows haben immer einen sehr speziellen Humor. Daher stellt sich jedes Mal, wenn ich in einem neuen Sprachkontext spiele und wenn Festivals es ablehnen, eine Übersetzung anzufertigen, die Frage, was ankommen wird. Der Text ist dicht, der Humor kondensiert. In manchen Ländern verhält sich das Publikum sehr deutlich dazu, vor allem in den USA, wo du es mit einem Publikum zu tun hast, das gehört werden will. In Europa ist das Publikum ruhiger. Anfangs dachte ich, dass sie nicht zuhören, sich langweilen und die Show blöd finden. Aber dann stellte ich fest, dass sie sich einfach konzentrieren.
Was passiert mit dem Humor, wenn nicht gelacht wird?
Wenn ein Publikum nicht an den richtigen Stellen lacht, komme ich in Versuchung, Tempo zu machen. Aber das ist oft genau die falsche Reaktion. Es ist auch falsch, etwas ändern zu wollen, wenn Leute nicht lachen. Ich will ja niemanden zum Lachen zwingen.
Gibt es eine Schlüsselerfahrung, was sich transportieren lässt und was nicht?
Das lässt sich vor allem an Idiomen und Redewendungen festmachen. Zum Beispiel bedeutet „somebody is a sitting duck“, dass jemand eine gute Zielscheibe bietet. In Bezug auf die Ente in meinem Stück hat eine solche Wendung also einen doppelten Boden.
Es gab die Ente auch wirklich.
Ja, es gab die brütende Ente wirklich. Die meisten meiner Stücke haben eine reale, persönliche Erfahrung als Grundlage. In diesem Fall joggte ich tatsächlich im belgischen Gent entlang des Kanals, sah einen Mann Steine werfen und intervenierte. Was mich dann vor allem beschäftigte: Wie mein Verhalten, die Art meiner Intervention, den Gewaltanteil der Situation verstärkte.
Die vermeintliche moralische Überlegenheit.
Ja, das Heuchlerische, wenn wir uns plötzlich moralisch überlegen geben, obwohl wir in so vielen Fällen bewusst wegsehen.
In einer Sache sind Sie jedoch ziemlich überlegen: im Stereo-Output von Stimme und Bewegung. Sie aber nannten Beyoncé einmal als Vorbild.
Sie ist phänomenal darin!
In meinen Augen funktioniert die kontinuierliche Bewegungsspur bei Ihnen wie Filmmusik: Sie vergrößert die Wirkung. Allerdings illustriert sie kaum jemals die Sprache.
Die visuellen Effekte der Choreografie sollen die Inhalte auf eine andere Ebene transportieren. Es entstehen Fragen über das Verhältnis der beiden Spuren. Diese Fragen zu stellen, ist hoffentlich produktiv, wenn auch oft furchtbar anstrengend. Die unnötigen Aktionen, die ich ausführe, haben außerdem viel mit der Energie von Gewalt zu tun. Irgendwann lehnt man sich aber wahrscheinlich einfach zurück und lässt sie als Hypnosefaktor auf sich wirken. Am Ende wollen alle nur noch in Ruhe gelassen werde: Wann hört sie endlich auf?
Lassen sich Ihre Bühnenarbeiten als Mischung einer „comedy of manners“ und „autobiographical fiction“ beschreiben?
Letzteres definitiv, ersteres klingt … ahh! Aber ja, doch, ich interessiere mich immer mehr für Verhaltensweisen. Ich ertappe mich ständig dabei, dass ich eine ziemlich ausgeprägte Meinung dazu habe, was gutes und schlechtes Benehmen ist. Darüber hinaus aber würde ich meine Performances als Essays bezeichnen. Ich fühle mich, wenn ich sie schreibe, weniger als Dramatikerin denn als Essayistin. Ansonsten müsste ich sagen: Ich schreibe Monologe. Aber ich hasse das Wort Monolog!
Ist es wirklich ein Interesse an Moral oder vor allem die Energie von Widersprüchen, die Sie antreibt?
Die Energie der Widersprüche trifft es ganz gut. Die Komplexität menschlicher Beziehungen. Moral ist ein Aspekt davon.
Widersprüche als Slapstick?
Absolut. Diese Art von Selbstläufer-Humor von menschlichen Beziehungen ist sehr bildhaft. Ich bin das beste Beispiel einer widersprüchlichen Natur. Ich bin eine unzuverlässige Erzählerin, einschließlich der von Widersprüchen erzeugten Verletzlichkeiten.
Sie suchen nach einer zarten, aber rebellischen Poesie – nicht um die Widersprüche aufzuheben, sondern um sie auszuhalten? Diese Transformation in Bilder am Ende Ihrer Stücke: ein Einhorn, die fantastische Ente …
Was ich selbst nicht aushalte: Wenn ich im Theater eine Lektion erhalte. Ich will niemandem eine Lektion erteilen. Ich suche eine Auflösung, die nicht im Intellekt sondern eher auf einer spirituellen Ebene stattfindet. Und auf einer utopischen, etwa der Frage nachzugehen, was eigentlich die Ente von dieser ganzen Geschichte denkt.
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