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Gilet jauneAndreas Rüttenauer Manches ist zu groß, und anderes ist eben viel zu klein

Über dem alten Dockgelände brennt die Sonne des französischen Nordens. In den alten Klinkerbauten ist irgendwas mit Mode untergebracht. Gegenüber, auf der anderen Seite eines rechteckigen Wasserbeckens, wohnen Leute in Häusern, über die sich Architekten ganz viel Gedanken gemacht haben. Ein Schwimmbad ist da und ein riesiges Kongresszentrum, das Carré des Docks. Ein Hund streicht an dessen gewaltiger Glasfassade entlang und hebt das Bein. Sein Herrchen stört sich nicht daran. Der Pförtner auch nicht. Eine Abwechslung immerhin. Es ist ja sonst nichts los an diesem Freitagnachmittag an den ehemaligen Docks.

Eine halbe Stunde später marschieren ein paar Journalisten aufs einsame Kongressgebäude zu. Bald stehen sie in der Eingangshalle und fragen nach dem Raum, in dem die Pressekonferenz der französischen Nationalmannschaft stattfinden soll. Welch ein Ort für eine derartige PK! Eine Nummer zu groß? Sie werden die Treppe hochgeschickt, müssen einmal links gehen und zweimal rechts. Dann stehen sie in einem kleinen Konferenzraum, der Platz für vielleicht 40 Menschen bietet. Nein, nicht zu groß. Stürmerin Eugenie Le Sommer meint dann, dass sie es zwar ganz schön finde in Le Havre, aber das Stadion sei eine Nummer zu klein für so ein großes Spiel. So ist das in diesen Tagen: Manches ist zu groß und manches zu klein. 25.000 Leute passen ins Stadion. Fast so viele waren da, als die USA gegen Schweden gespielt haben. Die Fans, die noch zwei Stunden nach Abpfiff vor dem Stade Océane gewartet haben, bis sie Platz in einem Bus gefunden haben, werden sagen, dass das Stadion zu groß war. Die Tausenden, die sich am Freitagnachmittag, als ab 14 Uhr auf dem Ticketportal der Fifa die letzten Karten fürs Frankreichspiel vertickt worden sind, vergeblich eingeloggt haben, ist die blaue Schüssel zu klein.

Zu klein ist auch die WM für die ganz großen Debatten. Wie präsentiert das Land ein Sport­event nach Jahren islamistischen Terrors? Wie spielt sich eine WM unter einem Staatspräsidenten, den im Gastgeberland kaum einer leiden kann? Und ist der Umgang der Bevölkerung mit dem Frauenfußball auch eine Reaktion auf das, was die Gelbwesten im Land bewegt haben? Keiner stellt solche Fragen. Und als zwei Spinner in der Innenstadt in eine Gruppe von US-Fans „Allahu Akbar!“ hineinrufen, ist das nur eine kleine Meldung in der Lokalzeitung wert. Das Interesse für den geschmacklosen Scherz der Provokateure ist dabei fast schon wieder zu groß, auch wenn die Meldung noch so klein war.

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