Glasnost beim DFB: Schluss mit dem Versteckspiel
Das deutsche Team kommuniziert erfrischend offen nach außen. Die neue Spielerinnengeneration ist weit entfernt von der früher gepflegten Scheu.
Das war nicht immer so. Zwar beklagten sich etliche Spielerinnen aus der Generation Prinz immer wieder über mangelndes Medieninteresse an ihrem Sport und wollten doch nichts preisgeben von sich und ihrer Arbeit, wenn sie dann vor einem Mikrofon standen. So redselig wie ein Doorsoun ist gewiss nicht jede im deutschen Team. Auch so geduldig sind sicher wenige. Und doch steht sie für eine neuen Spielerinnengeneration, die keine Scheu mehr hat vor der Öffentlichkeit.
Nach ihrem schwierigen Spiel gegen China ließ sie sich mehr als eine halbe Stunde Zeit, ging von Kamera zu Kamera, von Schreibblock zu Schreibblock, um klarzustellen, dass sie sich ihrer Fehler sehr wohl bewusst war, dass sie auch befürchtet hat, ausgewechselt zu werden. Dass sie sich selbst nicht erklären konnte, warum sie, statt über die Torhüterin zu spielen, immer wieder einen Querpass gespielt hat. Dass ihr niemand zu sagen braucht, was sie falsch gemacht hat.
Wie sie sich selbst im Spiel immer wieder versichert hat, dass sie es doch besser kann. Und dass man ihr, wenn man sie schon kritisiert, ihr doch auch zugute halten sollte, dass sie so manchen gegnerischen Angriff abgelaufen habe. Ein ganzes Spiel aus den Augen einer Akteurin wurde einem da dargelegt. Ob sie sich überlegt habe, nach diesem Spiel überhaupt den Medien zu stellen, wurde sie dann noch gefragt. Ihre Antwort: „Das war keine Frage für mich.“
Plaudernde Schülerin
Derweil wird Lena Oberdorf zu den Medienvertretern geschoben. Die 17-jährige Schülerin hat es leicht. Wenn sie über die Absperrung zu den Medienvertreterinnen schaut, sieht sie nur freundliche Gesichter. „Wie war es, das erste Mal!“, wird sie gefragt. Und beim zweiten Spiel: „Und wie war es heute?“ Klar war das toll. Aber es war auch schwierig.
Und da fängt die Schülerin an zu erzählen, warum es nicht einfach ist. Und beinahe nebenbei erfährt man, wie sehr sie die verletzte Spielmacherin Dzsenifer Marozsán bewundert. Die wisse immer schon ganz genau, wie sie den Ball verarbeiten wird, noch bevor sie ihn bekommt. Und schon bekommt man eine Ahnung, wie das Team funktioniert, dass es da eine Spielerin gibt, an der sich alle orientieren und ahnt, dass es wohl stimmt, wenn – wie nach dem Spiel gegen Spanien – fast alle sagen: „Heute haben wir für Dzseni gespielt.“
Klar, es gibt auch diese Spielerinnenphrasen. „Das müssen wir jetzt erst einmal analysieren.“ Oder: „Wir haben uns schwer getan, ins Spiel zu finden.“ Und: „Jetzt gilt es, konzentrierter weiterzuarbeiten.“ Aber als Melanie Leupolz versuchte, ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass sie gegen Spanien nicht von Beginn an spielen durfte, und sich in eine dieser Phrasen („Das Wichtigste ist der Erfolg des Teams“) retten wollte, musste sie selber lachen. „Klar hätte ich gerne gespielt.“
Da stand Klara Bühl neben ihr, die 18-jährige Stürmerin, die natürlich strahlte, weil sie doch tatsächlich zum ersten WM-Einsatz gekommen war. Die Trainerin habe ihr gesagt, dass sie versuchen solle, mit ihrer Schnelligkeit hinter die Verteidigung zu kommen und ein Tor zu schießen. „Das ist ja nun nicht gelungen“, sagte sie und jeder durfte sehen, wie viel Ehrgeiz in ihr steckt. Sara Doorsoun wird auch gefragt, was sie von Bühl hält. Schnell sei sie schon. „Aber natürlich nicht so schnell wie ich. Da wollen wir doch die Kirche schön mal im Dorf lassen.“ Alle lachen und merken doch, dass sie gerade etwas gelernt haben über der Hackordnung im Team.
Diabolisches Lächeln
Und am Ende hört man vor allem Almuth Schult in der Mixed Zone. Sie ist das personifizierte Selbstbewusstsein im Team. Die Torhüterin weiß am besten, dass bis jetzt nur mit viel Glück zwei Niederlagen verhindert wurden. Sie spricht aber so, als hätte das etwas mit dem deutschen Team und natürlich mit ihr selbst zu tun. „Alle haben Angst vor uns“, sagt sie und lächelt fast diabolisch. Das Kraftzentrum der Mannschaft steht zwischen den Pfosten, lernt man da.
Vielleicht stimmt das Bild nicht, das sich aus dem Auftritt der Mannschaft nach den Spielen ergibt. Immerhin entsteht ein Bild, weil die Spielerinnen etwas darstellen wollen. Schön, dass der DFB und seine Sprecherin, Annette Seitz, das nicht verhindern und die Spielerinnen aus der Mixed Zone ziehen, bevor sie das letzte Wort gesprochen haben.
Und doch ist es der Verband, der bisweilen ein Bild vom Team zeichnet, wie man es eher aus vergangenen Tagen kennt. In einem vom DFB verschickten Video von einem Ausflug der Mannschaft in die Innenstadt von Lille wirkt das Team wie eine verschüchterte Klosterschülerinnengruppe. Sind das wirklich die Frauen, die die Mixed Zone aufmischen? Man mag es kaum glauben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt