berliner szenen: Geglitsche und Gerutsche
Es ist ja immer wieder interessant, sich über die unausgesprochenen Übereinkünfte des menschlichen Miteinanders Gedanken zu machen. So im sozialen Kontext. Wie man sich wo gibt. Doch am Ende sind wir komischen Menschen doch alle gleich, wir wollen Liebe und uns gut fühlen, wollen raus aus der Jämmerlichkeit der eigenen Existenz, und was hilft da besser, als eine kleine Entgrenzung.
Neulich, zum Beispiel, im Westgermany trafen sich eine große Gruppe jüngerer Männer und eine kleinere Gruppe jüngerer und älterer Frauen in diesem weiß gekachelten Raum unter Neonröhren. Beim ersten Ton des Konzerts (ein wunderbar satter Rülsper ins Mikro) begannen die sich im vorderen Zuschauerbereich Befindenden sogleich, auf- und ab- und gegeneinanderzuspringen. Die auf diese Weise entstehenden Rinnsale von Schweiß vermischten sich mit den stetigen Rosé-Sekt-Duschen zu einem Geglitsche und Gerutsche – kollektive Ekstase und Gepoge. Eine Geburt! – so dachten mehrere der Anwesenden, wobei nicht geklärt wurde, ob die Geburtsmetapher auf das eigene Erleben der Entgrenzung bei selbiger oder die kollektive Glitschigkeit des Gesamtvorgangs à la „Wir werden gerade allesamt geboren aus Schweiß und Rosé-Sekt und Rülpsern und Punk“ anzuwenden sei.
Ähnlich war es dann anderntags beim Yoga in so einem teuren Studio in Mitte, voller insektenhafter Schönheiten in feinster Yoga-Seide, sodass sich die müde Normalsterbliche fühlen muss wie der liegengebliebene Vanillepudding im Rohkostgeschäft, doch dann wurde es ebenfalls heiß und Schweiß und plötzlich wildes Geatme und Gestöhne, alles herauslassen und uffff, achhhh, haaaa. Und dann war es doch wieder Punk und Entgrenzung und überhaupt, wir wollen wirklich alle irgendwie dasselbe. Nein? Jemand nicht? Kirsten Reinhardt
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