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Man höre, sehe und staune

In der Akademie der Künste begann das 20. Poesiefestival Berlin mit acht Dichtenden, deren Weltläufigkeit, Sprachwucht und Experimentierlust bis Mitternacht begeistert aufgenommen wurden

Die Dichterin Yugen Blakrok schaut von ihrem Schreibtisch aus auf einen Berg Foto: Mirko Lux

Von René Hamann

Ein runder Geburtstag, der Eintritt ins Twen-Alter, ist eigentlich kein Grund, sich zu schämen. Und doch wartet das 20. Poesiefestival Berlin mit einem Plakat auf, auf dem eine junge Frau ihr Gesicht hinter einer nach vorne zugesteckten Frisur versteckt. Falsche Bescheidenheit, sollte man meinen, denn auch dieses Jahr wartet das Festival an der Akademie der Künste am Hanseatenweg wieder mit einem besonderen Programm für alle Liebhabenden der gehobenen Poesie auf; einen ersten Eindruck verschaffte das traditionelle Eröffnungsprogramm am Freitagabend, „Weltklang – Nacht der Poesie“.

Dort lasen nicht weniger als acht Dichtende, fünf Frauen, drei Männer, und wenn die Italienerin Patrizia Cavalli nicht krankheitsbedingt gefehlt hätte, wären es noch mehr gewesen. Aber auch so war das mehr als reichlich, was den Zuhörenden im vollständig besetzten „Studio“, im großen Saal im Keller der Akademie, geboten wurde. Es gab viel Zeitgemäßes zu hören, ein bisschen was aus der Zeit Gefallenes, ein bisschen was Hermetisches und ein bisschen was althergebracht Traditionelles.

Für Abwechslung jedenfalls war gesorgt zwischen guter Performance, etwas HipHop und viel Wortkunst, wobei die Veranstaltung hier und da auch unter dem schon recht abgefeimten Anspruch von „Sprache als Material“ litt (noch schlimmer das Motto des Festivals: „Endlich Zeit für Sprache“) und von Maren Jäger, Literaturwissenschaftlerin an der HU, auf eine seltsam breitbeinige Art eine Spur zu akademisch und langatmig moderiert wurde.

Eröffnet wurde der Reigen von Anja Golob, die mit jeder Menge Körperspannung am Start war und in gut unterrichteten Kreisen als „Lyrikstar“ (eigentlich ein Oxymoron) gehandelt wird. „Ein paar von uns werden im Suff krepieren“, dichtete die Slowenin den KollegInnen und uns allen zu, „andere ertrinken, im Graben landen, mit dem Fahrrad stürzen./ Hier eine akute Depression, dort Hepatitis C,/ die meisten von uns werden zum Ausgang krebsen,/ mindestens einer, wette ich: Schlaganfall beim Sex,/ ein paar im Bad umfallen und auf dem Boden liegen./ Mancher wird wohl Selbstmord begehen.“ Golob bewegte sich dabei etwas spastisch auf ihrem Schreibtischstuhl sitzend hin und her, während über ihr ein gefilmter Himmel mit weißen Wölkchen, die sich kaum bewegten, projiziert wurde.

Wie überhaupt alle Vortragenden angehalten waren, den Blick von ihren Schreibplätzen aus abzufilmen, was so manch vielsagende Korrespondenz offenbarte. So präsentierte Marion Poschmann, mit wallendem, ergrauten Haar und mädchenhafter Statur, den Blick auf ein Vorstadtidyll mit getrimmten Hecken, durch das sich wenigstens hier und da ein Auto bewegte. Ihre Zeilen versuchten sich an neuer Naturlyrik, blieben dabei aber oft seltsam egozentrisch: „Ich war Sonne / und meine Strahlen reichten bis Sibirien“, „so ritt ich/ in einer Reihe von Tierornamenten,/ die funkelnd am Waldessaum aufgingen“. Auch die Exil-Iranerin Fatemeh Shams, Blick auf Hochhaustristesse mit Katze auf der Fensterbank, verfolgte eher eine in althergebrachten Traditionen stehende Poesie.

Anders traten da schon die Stars dieses Abends auf. In sportlicher Treppchenreihenfolge, also noch vor der Südafrikanerin Yugen Blakrok, die Rap mit sonnenhuttragendem DJ performte und einen bewaldeten Mittelgebirgsberg als Blick mitbrachte und dem so rüstigen wie rührigen Rainer René Müller, der für die Hermetik irgendwo zwischen Celan und Thomas Kling gesorgt hatte: Keston Sutherland aus England (Hintergrund: unscheinbares Fenster mit Topfpflanzen), Eileen Myles aus New York, USA (Hintergrund natürlich eine Feuerleiter an einem Wohnhaus irgendwo in Brooklyn), und, der überraschende Höhepunkt des Abends, der stets lakonische, immer bissig-lustige Xi Chuan aus China (unbewegtes Häusermeer). „sobald es um schlangen geht, müssen es giftschlangen sein“, dichtete er, „als gäbe es schlangen ausschließlich mit gift.// sobald es um haie geht, müssen es menschenfressende sein, als wäre die ganze welt ein disneyfilm.“

Gut, stellt sich die Frage, ob „Der weiße Hai“ eine Disneyproduktion war (Google sagt: nein). Aber auch so war es die Weltläufigkeit, samt Geburtstagsgruß an Donald Trump, die aus den Texten der drei Letztgenannten sprach; wobei auch Sprachwucht und Experiment überzeugten, nicht nur Pointe und Politik. Gegen Mitternacht klang der Weltklang dann schließlich aus; das Publikum war fast durchweg begeistert gewesen.

Hier und da lassen sich die DichterInnen noch sehen auf dem Poesiefestival, das schließlich noch bis einschließlich Donnerstag läuft. Es gibt Panels, Talkrunden, „Poesiegespräche“ und den einen oder anderen Poetry Film zu sehen. Man höre, sehe und staune.

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