: Kosmischer Geräte-Soundclash
Durch das kollektive Unbewusste zu wandern: Das Festival „The Only Good System Is A Sound System“ will am Wochenende der sozialen und ästhetischen Bedeutung des Soundsystems und der zentralen Technologie hinter der Bassmusik nachgehen
Von Stephanie Grimm
Bassmusik ist Körpermusik. Als Druckwelle rollt sie in die Magengrube, lässt Hosenbeine schlackern. Oder anders formuliert: „Die Leute können eigene ästhetische Erfahrungen machen, wenn sie inmitten Lautsprechertürmen eine subsonische Bass-Ladung empfangen oder sich von den kosmischen Echo-Tiefen des Dubs massieren lassen. Diese Erfahrungen dringen in die Körper ein und gehen durch sie hindurch, um letztlich über sie hinauszureichen und damit durch das kollektive Unbewusste zu wandern – eine ziemlich weirde und gleichzeitig überwältigende Erfahrung.“
So schwärmerisch in Worte gefasst hat das Pascal Jurt, zusammen mit seiner Co-Kuratorin Zuri Maria Daiß ist er verantwortlich für das Programm von „The Only Good System Is A Sound System“. Mit dem Festival will man der sozialen und ästhetischen Bedeutung des Soundsystems, der zentralen Technologie hinter solcher Bassmusik, nachgehen.
Überwältigend, das sind Soundsystems tatsächlich, im sensorischen wie im sozialen Sinne. Nicht zuletzt wird über die Lautsprechertürme, stellvertretend für den Menschen, der diese Klangwellen erlebt, der (öffentliche) Raum erobert. Kein Wunder hat diese Musik auch schon etliche akademische Abhandlungen inspiriert. Um beides, den soziokulturellen Hintergrund, aber auch die immersive, ganz konkrete Sound-Erfahrung, soll es auf dem Festival gehen.
Die Ursprünge der mobilen Disco, die das Soundsystem letztlich ist, liegen in Jamaika. Dort waren sie schon als die hybride Kulturform angelegt, zu der sie dann angesichts unterschiedlichster Adaptionen in aller Welt erst recht wurden. „Mitte der 1950er Jahre wurden vor allem R&B-Singles, die Saisonarbeiter*innen und Erntehelfer*innen zuerst in den USA gehört hatten, aufgelegt“, erläutert Jurt.
Durch die Einwanderung der 1950/60er Jahre gelangten die Soundsystems nach Großbritannien, aber auch in die USA und beförderte die Entstehung neuer Genres wie Hiphop oder Grime. Ihr Einfluss reicht jedoch darüber hinaus. „Das Besondere oder besser das Allgemeine ist ja, dass der Bass inzwischen das dominante Instrument nicht nur in der Dance Music, sondern auch in der Popmusik geworden ist“, umschreibt Jurt ihren gegenwärtigen Status. Der Kulturwissenschaftler Julian Henriques geht noch weiter (nachzulesen in der taz vom 13.April): „Dubsound ist die Basis für viele moderne Musikstile. Selbst für zeitgenössische E-Musik (…) ist Dub wichtig.“ Henriques, der in den Gettos von Kingston über Soundsystems forschte und am Londoner Goldsmith College lehrt, wird das Festival mit einer Vorlesung eröffnen.
Auch wer sich für klassischen Reggae, Dub und Dancehall nur bedingt erwärmen mag, kann hier Klangwelten entdecken. Um „musikalische Traditionspflege“ soll es nämlich nicht gehen, erklärt Jurt: „Nicht Soundsystems, die sich um eine möglichst authentische Aneignung von Reggae und Dancehall bemühen, stehen im Vordergrund. Es geht darum, neue Perspektiven aufzuzeigen und einen Teil des extrem großen Bass-Continuums abzubilden.“
So gesehen ist der Kevin Martin aka The Bug prädestiniert, die erste Tanznacht zu gestalten. Schließlich steht der in Berlin lebende Brite wie kaum ein anderer für eine unorthodoxe Herangehensweise an den Basssound. Seit 30 Jahren führt ihn der punksozialisierte Klangforscher in abseitige Gefilde, für den Abend hat er sehr unterschiedliche Gäste eingeladen: Flowdan etwa, den Mitbegründer des legendären Londoner Grimekollektiv Roll Deep oder die aus Israel stammende MC Miss Red, die Industrial-Elemente in ihren Sound einbaut. Auch die toll verspulten Equinoxx, die mehr als einen Hauch von düsterer Psychedelik in die Dancehall tragen, werden auftreten.
Am zweiten Abend werden beim Sound Tank Clash zwei eindrucksvolle Bassungetüme des Künstlers Nik Novak gegeneinander antreten. Zu erleben waren sie schon, in einem anderen Kontext, im Rahmen der CTM. Diesmal werden der queere Rapper Le1f, die Detroiter Rapper*innen Ché und ALI.Keys sowie Awa Khiwe und Infinite Livez als Toaster*innen den Geräte-Soundclash bereichern.
Die sozialen Themen, die bei den auf- und ineinander krachenden Sounds auch verhandelt werden, stehen beim Vortrag der feministischen Kulturkritikerin Carolyn Cooper aus Kingston im Fokus, es soll es um Lyrics als Waffen der Wahl gehen. Und um die Funktion des Sound System Clash im öffentlichen Raum.
Erfahrungen mit Konflikten um öffentliche Räume haben auch die Festivalmacher gemacht. Eigentlich sollte der Novaks Performance draußen stattfinden. Wegen Lärmschutzauflagen musste sie reinverlegt werden. Die betreffenden Ämter wollten, dass 70 dB, ein Lautstärkeniveau also, das auch ein Fernseher oder ein laufender Wasserhahn produziert, nicht überschritten wird – ein schräge Fußnote, schließlich verhandelte diese Veranstaltung genau „die ambivalente Rolle von Sound Systemen als kulturelle Katalysatoren auf der einen und als akustische Waffen auf der anderen Seite“, so steht es im Programmheft.
Allzu raumnehmend darf eine solche Katalysatorfunktion offenbar nicht sein. Das musste ja auch in Berlin schon so manch ein Club erfahren, der von einem Nachbarn herausgeklagt wurde. Etwas wirklich Neues sagt Daiß nicht, wenn sie hervorhebt, „dass in unseren Städten immer mehr Verdichtung stattfindet und öffentliche Freiräume für die Bewohner*innen mehr und mehr privatisiert werden“. Aber leider hat sie ja recht. Schon deshalb ist es zu begrüßen, wenn öfter mal ein Bassmonster interveniert.
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