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Archiv-Artikel

Ein wunderbar lebendiger Ort im Tiergarten

Jan Feddersens Gastrokritik: Der Schleusenkrug ist ein Gartenlokal, in das man immer gehen kann, ohne Stammgast-Nachteile zu erleiden

Eingeborene von Berlin, die ihre Kindheit im Westteil der Stadt verbrachten, so in den Fünfzigern, Sechzigern, erinnern dieses Lokal noch als rüschig, rustikal und retro zu jeder Zeit. Da ging Bolle hin, da küssten sich die Eltern, da fanden Rendezvous statt – und später durften die Gören mit, um zu sehen, wo Mama und Papa begannen, einander näher anzugucken. Der Schleusenkrug hatte ja etwas Verruchtes: Der Kanal zählte zur Ostzone, die Grünanlagen zum Westen – aber man konnte vom Lokal aus ins träge Gewässer des Ostens spucken.

Das kann man, sitzt man im Freiluftsouterrain des Lokals, immer noch. Schiffe und Kähne fahren vorbei, die „auf den Weg in die weite Welt“ spielen. Oben, auf der Ebene des Tiergartens, befindet sich das Lokal sowohl für den Winter als auch die Open-Air-Plätze für die Zeit zwischen März und Oktober, neuerdings mit Heizpilzen sogar präpariert, dass die mediterrane Anmutung vielleicht bald ganzjährig genossen werden kann: Man sitzt draußen – und empfindet das Drinnen als muffig-unfrisch.

Kurzum: 1954 wurde das Lokal an dieser Stelle eröffnet – aber 1996 wurde es zum gastronomischen Interieur all jener, die mit piefiger Berlinhaftigkeit nicht mehr viel anfangen konnten und Kaffee, beispielsweise, nur in der italienisch gebrannten Variante trinken. Caffe latte statt Filterkaffee. Übernommen hatten es die Betreiber, die auch das Café Adler am Checkpoint Charlie ausgerüstet haben.

Man sitzt im Schleusenkrug vorzüglich. Eingehegt von klassischen Spielplatzhecken, unter deren Säumen, innenwärts, sitzgerundete Bänke wie aus einem Stück stehen: Das sieht denn, ist sie mit Menschen besetzt, wie ein Forum aus. Einzelbesucher nehmen sich weniger einsam aus – man verliert sich schön.

Speisen und Getränke sind die üblichen für die Berliner Lokalhaftigkeit. Leberkäs und überhaupt Rustikales. Man sollte sich zu zweit anstellen: Der oder die eine für das Essen, die oder der andere für die Getränke. Sonst verliert das Essen an Wärme – oder die Getränke an Frische. Ansonsten ist der Schleusenkrug eine wunderbare Stelle – nah am Bahnhof, in Gehweite zum Ku’damm, nicht allzu stark im Tiergarten versunken …

Und die meisten, die kommen, sind nicht dauernd zu Besuch: Der üble Effekt, lauter Stammgästen zu begegnen – und ein solcher ist man ja auch, hat man diese Beobachtung erst einmal gemacht –, stellt sich nicht ein. Viele Menschen, Kinder gern, krakeelende ungern, kommen und gehen. Alles hat seine Lebendigkeit. Der Schleusenkrug ist speziell zu besuchen, um Eltern, zu Gast in Berlin, zu zeigen, dass doch eigentlich alles wie früher ist.

SCHLEUSENKRUG, Müller-Breslau-Straße, 10623 Berlin, nahe Bahnhof Zoo, Tel. (0 309 3 13 99 09, Mo. bis So. 10 bis 1 Uhr; Frühstück ab 5 € (vegetarisch), Hauptgerichte (das Fleisch ökologisch) ab 6 €; die üblichen Getränke ab 1,90 €