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Knautschen, Nostalgie und Pausen

Ein Kosmos an neuer Musik in drei Stücken: Das Festival Ultraschall, das noch bis Sonntag geht, eröffnete erfolgreich vielgestaltig mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Sylvain Cambreling

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin beim Ultraschall-Eröffnungskonzert im großen Sendesaal des RBB Foto: Simon Detel/Deutschlandradio

Von Tim Caspar Boehme

Es müssen nicht immer Uraufführungen sein. Rund zehn Jahre alte Musik tut es auch. Kommt eben auf die Auswahl an. Was neue Musik ist, was sie „soll“, wenn man so möchte, und mit was für unterschiedlichen Mitteln sie dabei vorgehen kann, war am Mittwoch im Eröffnungskonzert des Festivals Ultraschall Berlin zu hören. Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Sylvain Cambreling und Stücken aus den Jahren 2008 und 2010, die immer noch frisch waren.

Los ging es mit einem Stück der in Berlin lebenden Komponistin Charlotte Seither, „Recherche sur le fond“. Ihre Suche betreibt sie mit sich überlagernden Klangschichten, flirrenden Drones, die sich aus den einzelnen Orchestergruppen immer wieder neu konfigurieren, ihre Gestalt wandeln, zunächst dissonant und aus kleinsten Tondifferenzen zusammengesetzt, sich nach und nach setzen, zur Ruhe kommen, bis ein Grundton, als Basis womöglich, erreicht ist. Dazwischen allerlei geräuschhafte Interventionen mit Sirenen oder Lotusflöten mit gleitenden Tönen, wie sie gern in alten Zeichentrickfilmen vorkommen, wenn etwas zu Boden geht. Die Instrumente arbeiten die meiste Zeit sowohl mit- als auch gegeneinander, für die Ohren sehr produktiv.

Da Ultraschall Berlin gemeinsam von den Sendern RBB und Deutschlandfunk Kultur veranstaltet wird, bekam man zum Eröffnungskonzert, das für das Radio aufgezeichnet wurde, den Diskurs gleich mitgeliefert. So sprach Andreas Göbel vom RBB, der das Festival mit seinem Deutschlandfunk-Kollegen Rainer Pöllmann kuratiert, als Moderator am Mittwoch in den Pausen mit den Künstlern.

Charlotte Seither, für die Komponieren, wie sie sagt, stets etwas mit „Zerstören“ zu tun hat, stellte einerseits heraus, dass für sie die Arbeit am Klang in erster Linie mit Arbeit zu tun hat. Töne sind bei ihr „gestaucht“, „geknautscht“ oder „gebogen“, sie müsse ihnen etwas „wegnehmen“, akustisch oder physikalisch, um sie nach ihrem Willen zu gestalten. In dieser Vorgehensweise steckt ein Gutteil Gewalt, was im Ergebnis allerdings recht gewachsen klang. Andererseits demonstrierte sie mit ihrer Fülle an Metaphern, in denen sie ihren Ansatz beschrieb – das Orchester ist ein „Labor“, in dem sie diverse „Elemente“ hat, die sie „chemisch reagieren“ lässt – die Not beim Sprechen über Musik. Eine Not, die im Musikjournalismus bekannt ist.

Einen schönen Kontrast bot das „Capriccio“ des Belgiers Philippe Boesmans für zwei Klaviere und Orchester. Der Autodidakt, mit Jahrgang 1936 der mit Abstand älteste Komponist des Abends, schreibt in einem modernen spätromantischen Stil, der die klangfarbensichere Artistik von Komponisten wie Maurice Ravel ebenso zu schätzen weiß wie die großen Gefühlsgesten eines Pjotr Tschaikowski. Dissonant und harmonisch stehen bei Boesmans, der insbesondere als Opernkomponist aktiv ist, in einem sehr ausgeruhten Wechselverhältnis, die gepflegte Dreierkonversation der Klaviere, gespielt vom zuverlässig souveränen GrauSchumacher Piano Duo, mit dem Orchester bewegt sich mit gut geölter Mechanik voran.

Joanna Wozny formt gehauchte Klänge, raue flüchtige und freundlich insistierende Klänge

Nostalgisch ist das allemal, wohl auch ironisch, wie unbekümmert Boesmans noch mit den plattesten Wohlklangseinheiten aufwartet. In seiner Konsequenz geht das aber so hemmungslos auf, dass man am Ende nur konstatieren kann: Ja, das darf Musik längst auch wieder. Im Pop stört Harmonie eh nicht. Bleibt die Frage: Warum irritiert es in der neuen Musik gern noch? Sind das spießige Dissonanz-Hörgewohnheiten? Komponisten, die heute zum Beispiel in Zwölftontechnik schrei­ben, würde man wohl nicht groß vorwerfen, sich auf konservative Grundlagen zu stützen. Doch ist dieses Verfahren mittlerweile hundert Jahre alt und damit längst historisch.

Ein bisschen altmodisch, wenngleich ohne Zwölftonmusik, schien vor allem das abschließende Orchesterstück „Archipel“ der polnischen Komponistin Joanna Wozny. Das Stück, das 2009 in der Münchner Herz-Jesu-Kirche uraufgeführt wurde, arbeitet demonstrativ mit Pausen. Dazwischen hat Wozny stille Klänge zwischen mezzoforte (mittellaut) und vierfachem pianissimo (sehr, sehr leise) gesetzt, mit fließendem Übergang von Ton zu Geräusch, etwa dem sachten Kratzen der Streicher. Hinzu kommt vielerlei leises Schlagzeug, nicht unbedingt selbstverständlich für diese Instrumentengruppe. Aus diesen Elementen formt sie gehauchte Klänge, raue flüchtige und freundlich insistierende Klänge. Mit den Pausen, die wie ein negativer Beat den Rhythmus vorgaben, hatte das etwas Meditatives, war auf Dauer jedoch zu gleichförmig, um bis zum Schluss zu faszinieren.

Noch bis Sonntag kann man das dicht gebündelte Angebot an jüngstem, jüngerem und klassisch modernem Tonschaffen bei Ultraschall Berlin verfolgen. Darunter am Sonntag die Uraufführung eines neuen Orchesterwerks des deutschen Komponisten Claus-Steffen Mahnkopf in der Volksbühne. Mahnkopf gehört zu den Verfechtern der Idee eines „Materialfortschritts“ im Sinne Adornos, wonach neue Musik der Innovation verpflichtet ist in der Art, wie sie ästhetisch und formal verfährt. Was längst ein wenig nostalgische Züge trägt, dafür aber eine legitime, strenggenommen „klassische“ Position unter vielen ist. Man höre und sehe selbst.

Noch bis 20. Januar an verschiedenen Orten: www.ultraschallberlin.de

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