: Geister in der Materie
Unheimliche Klänge der dritten Art: Die kanadische Kulturwissenschaftlerin Kristen Gallerneaux untersucht in ihrer Studie „High Static, Dead Lines“ mysteriöse Geräusche und Spuk in alten Geräten
Von Hartwig Vens
Einmal hat Kristen Gallerneaux einen Fetch erlebt – den Geist eines noch lebenden Menschen. „Ich sah ihn in einer Shopping Mall“, erzählt sie mir am Rande des Unsound-Festivals in Krakau. „Es war um die Weihnachtszeit, also ziemlich viel Betrieb. Auf einmal war er da. Er schaute genau zu mir, aber gleichzeitig durch mich durch in die Ferne. Und plötzlich war er weg. Später beim Familientreffen sagte mir seine Schwägerin, dass sie ihn am gleichen Tag am Flughafen gesehen hat, sie war in Nevada, ich in Michigan.“
Ein Erlebnis wie dieses bringt Kristen Gallerneaux nicht aus der Fassung. Die kanadische Kulturwissenschaftlerin stammt aus einer Familie von Spiritisten. Geister waren allzeit around im Elternhaus auf dem Land im Bundesstaat Ontario. Gallerneaux’Mutter und Großmutter wirkten dort als Medien und luden regelmäßig zu Séancen ein, in denen Kontakt mit dem Jenseits aufgenommen wurde. Heute arbeitet Kristen Gallerneaux als Kuratorin der bedeutenden Kommunikations- und Informationstechnologie-Sammlung am Henry-Ford-Museum in Detroit – auch bekannt als Edison-Institut für US-Innovation – eine wissenschaftliche Autorität.
Ihr obliegen das Sammeln und Pflegen historischer Computer, Fernsehgeräte, Radios, Film- und Fotoapparate, Drucktechnik und grafischer Kommunikation. Ford war ein enger Freund Thomas Edisons, und der hatte seinen Phonographen nicht zuletzt zur Aufzeichnung letzter Worte und den Kontakt zu den Verstorbenen vorgesehen.
Die Boomzeit des Spiritismus Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts war auch die Hochzeit der Medienrevolution: Fotografie, Telegrafie, Radio, Telefon und der Phonograph kamen in die Welt. Interessanterweise standen instrumentelle Vernunft und Geisterbeschwörung seinerzeit keineswegs auf Kriegsfuß – Wissenschaftler wie Marie Curie und Sigmund Freud nahmen an spiritistischen Sitzungen Teil, und umgekehrt erhofften sich Medien durch die Technik verbesserte Kommunikation mit ihren toten Gesprächspartnern.
Es gibt eine lange Geschichte der Aneignung neuer Technologien in den Séance-Räumen, man versuchte die Verwendungszwecke kreativ zu erweitern. Vom Morsecode und der Telegrafie bis zum Magnetband und den EVPs, den Tonbandstimmen von Geistern. Worauf ich hinaus will, ist: Es gibt eine Geschichte der Sound-Technologien als Mittel, spirituelle Kommunikation aufzuzeichnen oder zu stimulieren.“
Über all jene Phänomene hat Kristen Gallerneaux ein faszinierendes Buch geschrieben, es heißt „High Static, Dead Lines“. „Schallgespenster und das Jenseits der Objekte“ ist sein Untertitel. Es geht um das Übernatürliche in der Technologiegeschichte, und wie die Gespenster in die Apparate ihre Funktionsweisen eingeschrieben haben.
„Wenn wir unseren Medien ermöglichen, uns zu bespuken, ist das entscheidend für ihr Verständnis“ – was immer dieser Satz heißen mag, Gallerneaux hatte jedenfalls keine Lust , eine akademische Studie zu schreiben. Gehuldigt wird nicht dem Fetisch Rationalismus, vielmehr kommen die „poetics of wild folklore“ zum Zuge. Kristen Gallerneaux ist nämlich auch Volkskundlerin und liest die Spukgeschichten empathisch, aber doch auch mit wissenschaftlichem Blick beziehungsweise Ohr. Entsprechend ist ihr „Fictocriticism“-Schreibstil – eine historiografisch-anekdotisch-essayistisch-analytische Mixtur mit eingebauten Montagen aus eigenen Spukerlebnissen und solchen aus der lokalen Folklore. Hinreißend und leichtfüßig vagabundiert sie durch die verschiedenen Geschichten und ihre Figuren, wie den alkoholkranken Hotelpagen Ted Serios, der die „Thoughtographie“ beherrschte, also kraft seiner Gedanken Objekte auf einem Polaroid-Foto erscheinen lassen konnte.
Aber die ganz besondere Zuwendung der Sammlungskuratorin gilt den Schallgespenstern. Denn Kommunikation mit den Geistern, so schreibt Gallerneaux, geschehe klassischerweise über Sound. „Historisch gesehen sind Schallwellen das Medium, das die reale Welt und die ätherische Dimension verbindet“, sagt die 44jährige Kulturwissenschaftlerin. „Akustischer Spuk ist das schwarze Schaf in der Spuk-Historie. Die Menschen wollen visuelle Erlebnisse: Medien, die Ektoplasma ausspucken, doppelbelichtete Fotos von Geistern – aber was sie eigentlich am unheimlichsten finden und ich am faszinierendsten, sind die Fragmente, die zusammenhanglosen und verwirrenden Kontexte. Und die passieren eben auf der Sound-Ebene.“
Um das Dingfestmachen des Sonic Spectres vorzuführen, hat sie selbst Hand angelegt und einen Analogsynthesizer konzipiert, der Klang aus Dreck generieren kann. „Ich habe eine große Sammlung Bodenproben aus Orten, an denen Poltergeister gespukt haben. Was mich dabei interessiert, ist, die Stimmen unbeseelter Materie hörbar zu machen, so dass sich rationaler Stoff irrational verhält. Wenn man so ein Dreck-Sample sonifiziert, hört man nur das harsche Britzeln der elektrischen Ladung. Aber das kann man verwenden, um etwas Schönes daraus zu machen.“
„High Static, Dead Lines“ stellt das, was uns in den letzten Jahren musikalisch als Hauntology umgetrieben hat, vom Kopf auf die Füße der real-existierenden Geisterbeschwörung und ist somit ein Dokumentarwerk der Aufklärung durch Gegenaufklärung. Ansonsten geht es noch um Miniaturradios in Pillenform, die man herunterschlucken kann; die Entwicklung vom Maser, der auf Mikrowellen basierte, zum Laser und von dort zur Sprachsynthese; um das Hijacken von Fernsehprogrammen durch die Cyberpunk-Cartoonfigur Max Headroom; um die Erfindung des Moog-Synthesizers; um einen riesigen Telefunken-Sendemasten, der unentdeckt mitten im Zweiten Weltkrieg zu Spionagezwecken auf US-Gebiet errichtet wurde. Kristen Gallerneaux’fröhliche Obskurant-Wissenschaft zu lesen ist für alle, die Sonifizierung und Hokuspokus interessant und unterhaltsam finden und nicht nur als Aberglauben entlarvt sehen wollen, ein Quell der Fundstücke und großer Freude.
Kristen Gallerneaux: „High Static, Dead Lines. Sonic Spectres and the Object Hereafter“. MIT-Press, Cambridge 2018, 264 S., ca. 19 Euro
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