: Der Clip zum Lovesong
Ohne Percy, so sieht es die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al-Mansour in ihrem Film „Mary Shelley“, wäre Mary im Buchladen ihres Vaters versauert
Von Jenni Zylka
Das Fehlen von Sonnenlicht kann kreativ machen. Die üblicherweise hellste Saison des sogenannten „Jahrs ohne Sommer“ 1816, in dem der Ausbruch des Vulkans Tambora ein Jahr zuvor für regnerische, düstere und kalte Folgemonate gesorgt hatte, verbrachte Mary Shelley in der Nähe des Genfer Sees. Sie und ihr zukünftiger Ehemann Percy besuchten Lord Byron in dessen Villa – und mopsten sich ob des unerwartet schlechten Wetters meist zu Hause um den Kamin. Aus Langeweile ersannen Byron, dessen Leibarzt John Polidori, Mary und Percy Shelley und Marys Stiefschwester Claire einen Schreibwettbewerb: Wer die beste Geisterstory verfasste, hätte gewonnen. Polidori schrieb mit „Der Vampyr“ die erste Vampirerzählung – und Mary mit „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ Literaturgeschichte. Veröffentlichen musste Shelley das Manuskript zunächst anonym – kein Verleger erklärte sich bereit, einen solchen Text unter einem weiblichen Autorennamen herauszugeben. Man traute ihr nicht mal zu, ihn überhaupt geschrieben zu haben.
Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al-Mansour, deren Debüt „Das Mädchen Wadjda“ auch der erste vollständig in ihrem Heimatland gedrehte Spielfilm überhaupt war, versteht ihr Mary-Shelley-Biopic folgerichtig als Emanzipationsgeschichte: Eine junge Schriftstellerin findet ihre Stimme, steht dafür ein und setzt sich in einem neuen Genre gegen Ressentiments durch. Mary Shelley (Elle Fanning), deren Fantasie und Schreibwut vom Buchhändler-Vater (Stephen Dillane) gefördert, von der bösen Stiefmutter (Joanne Froggatt) jedoch ausgebremst wird, gibt in Al-Mansours Film den klassischen, in Liebesdingen unerfahrenen Teenager. Als sie den fünf Jahre älteren Dichter Percy Shelley (Douglas Booth) kennenlernt, der ihr – obwohl er, wie sich später herausstellt, verheiratet und Vater ist – wild den Hof macht, verliebt sie sich stante pede und mit Haut und Haar. Und Percys verdächtig intimes Verhältnis zu Claire (Bel Powley) lässt Mary nur noch weitere Gefühle erleben.
Dass Al-Mansour allerdings Marys Kreativ-Erweckung als Autorin derartig stark an seine Zuneigung gekoppelt darstellt, grätscht gegen ihre ursprüngliche Intention: „Durch dich scheint alles möglich zu sein“, legt sie Mary in den betörten Mund. Damit ist Mary, die Autorin, genau wie deren Kreatur: Sie entsteht erst durch ihren (männlichen) Schöpfer. (Auch wenn die unglückliche, weil von Byron vernachlässigte Claire die Qual des Monsters nach Eigenaussage ebenfalls nachempfinden kann.) Die Emanzipation, die Al-Mansour bei ihrem preisgekrönten „Wadjda“-Film ihrer kindlichen Protagonistin überantwortet und ihr am Ende das Fahrrad – Sinnbild für den Ausbruch aus den einengenden Vorschriften, die sie als Mädchen befolgen muss – gegönnt hatte, wirkt bei Mary Shelley reaktiv: Ohne Percy, das ist klar, wäre Mary im Buchladen versauert.
Al-Mansours Entscheidung, den Film im Hinblick auf die jugendliche Zielgruppe zudem als eine mit Geigenkitsch auditiv zugeklebte und durch anachronistische Popstar-Haargelfrisen nervende „Twilight“-Adaption zu inszenieren, ist zudem ärgerlich: Aus dem dunklen Klima dieses Jahres zieht sie keinerlei Atmosphäre – der Film sieht stattdessen aus wie der Clip zu einem Lovesong, für den ein paar YouTuberInnen sich in Spätromantik-Klamotten gewickelt haben.
Shelleys Inspiration für ihr zusammengenähtes und zum Leben erwecktes Monster, so erzählt es Al-Mansour allerdings als hübsche Anekdote, stamme aus einer für das damalige Publikum schockierenden Galvanisierungs-Show, bei der ein „Wissenschaftler“ die neue Kraft der „Elektrizität“ in den Körper eines toten Froschs jagt. Als der Froschkörper zuckt, kreischt das Publikum. Auch Shelley kreischt fasziniert mit. Immerhin diese Idee hatte sie also ganz allein.
„Mary Shelley“. Regie: Haifaa Al-Mansour. Mit Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge u. a. UK/IRL/LU, 120 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen