heute in hamburg: „Die Macht der Akteure, die sprechen“
Jens Beckert, 51, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.
Interview Hannah Maatallaoui
taz: Herr Beckert, wieso sollte man die Zukunft erfinden? Es gibt sie doch schon.
Jens Beckert: Es gibt keine zukünftigen Fakten. Deshalb beinhalten alle Voraussagen, die wir über zukünftige Entwicklungen machen, immer ein Moment des Erfindens, der Kreativität und der Imagination. Das heißt nicht, dass unsere Vorstellungen von Zukunft nicht auch auf gegenwärtigem Wissen basieren und vergangene Erfahrungen miteinbeziehen. Sie können sich nur nie darauf beschränken, sondern haben immer diesen imaginativen Überschuss. In dem Sinne kann man von der Erfindung der Zukunft sprechen.
Wer bestimmt, wie wir uns die Zukunft vorstellen?
Akteure folgen Geschichten über die Zukunft, die sie als glaubwürdig und überzeugend verstehen. Insofern ist die Frage, unter welchen Bedingungen eine Geschichte als glaubwürdig anerkannt wird. Ein wichtiger Faktor ist die Macht der Akteure, die sprechen. In der Wirtschaft sind das etwa die Spitzen der Zentralbanken, großer Unternehmen oder von Think Tanks, die Einfluss auf Vorstellungen der Zukunft nehmen und so Entscheidungen lenken.
Ist das gefährlich?
Nicht unbedingt. Wir brauchen Überzeugungen, wie die Zukunft sich entwickeln wird, um auch Risiken einzugehen. Natürlich kann das auch gefährlich sein, weil Geschichten über die Zukunft sich eben nicht vollständig überprüfen lassen und daher immer Manipulationsmöglichkeiten bestehen. Außerdem werden unterschwellig Gesellschaftsmodelle propagiert. Denken Sie an das Silicon Valley oder die Diskussion um künstliche Intelligenz. Entwicklungen werden als technologische Notwendigkeit dargestellt, ohne dass die dahinterstehenden Gesellschaftsmodelle offengelegt werden.
Gibt es auch Chancen?
Vortrag und Diskussion „Die Erfindung von Zukunft“ 19 Uhr, Literaturhaus e.V., Schwanenwik 38
Über Zukunftsnarrative gestalten wir die Zukunft. Das ist von enormer Bedeutung für die Frage der Dynamik unserer Gesellschaft.
Also kann künstliche Intelligenz die menschliche Imagination in Zukunft nicht ersetzen?
Nein. Es ist momentan ein großer Diskurs, ob diese Technologien die Vorhersage von Verhalten und Entwicklungen ermöglichen werden. Hier bin ich skeptisch. Ich glaube, dass dies letztendlich uneinlösbare Versprechen oder überzogene Befürchtungen sind.
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