berliner szenen: Mal wieder was geschafft
Die letzte Schlacht gewinnen wir“, sagte der Kieferchirurg, nachdem er schon eine Weile an dem zu entfernenden Zahn gewackelt, gedreht und gefräst hatte. Vielleicht wollte er fraternisieren, vielleicht hatte er die Szene gelesen, die ich vor sieben Jahren geschrieben hatte und wo im Hintergrund einer Zahnentfernung irgendein Wohlfühlsender wie RTL2 oder RadioEins gelaufen war. Vielleicht wollte er sich nur selbst ermutigen, ich war ein harter Job, in der Nacht war er Vater geworden. Aber auch der beknackte Zahn hätte „die letzte Schlacht gewinnen wir“ rufen können. Zweimal hatte es schon fies geknackt, Teile des Zahns waren abgebrochen. Bis jetzt hatte der Rest heldenhaften Widerstand geleistet. Auf der Überweisung hatte ich erst „13“ gelesen und mich gleich gefreut, dass alles so gut zusammen passte: die 13 war der siebte Zahn in vier Wochen, alles deutete auf Glück hin. Korrekt ausgesprochen hieß die 13 aber in Wirklichkeit 1,3.
Das Fräsen klang nicht nur wie eine Kreissäge, sondern war sicher auch eine; nur ganz, ganz klein. Außerdem spürte ich die Hälfte meiner Nase nicht mehr. Kurz danach bin ich zugleich überrascht und erleichtert, dass der Zahn nun endlich weg ist. Nach dem ersten Termin vor vier Wochen, hatte ich mich peinlich überschwänglich bedankt, nach dem zweiten Termin hatte ich nicht mehr richtig sprechen können. Diesmal zog ich wie ein geprügelter Hund von dannen.
Vor dem Haus stand eine Frau und fragte, ob sie hier richtig sei. Ich nickte wortlos, hielt ihr die Tür auf, deutete auf meine Backe und freute mich noch eine Weile über die schöne Begegnung, während ich über den Ku’damm schlenderte. Ich hatte mal wieder etwas geschafft, obwohl ich nur still gehalten hatte. Wieso man sich bewegen soll, um seine Fesseln zu spüren, hab ich nie verstanden. Detlef Kuhlbrodt
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