piwik no script img

dvdeskLagerdrama und Sportfilm

Der Boxer und der Tod (CSSR 1963, Regie: Peter Solan) Die DVD ist ab rund 17 Euro im Handel erhältlich.

Zuerst nur das Geräusch, rhythmisch, über dem Schwarzbild des Filmbeginns. Mit leiser Verzögerung erst sieht man, was man da hört: einen Boxsack, Schläge einer Faust. Noch einmal muss sich das Bild weiten, dann sieht man in Sportlerhose und Unterhemd Kraft (Manfred Krug). Er ist es, der hier boxt, in einer kleinen holzgetäfelten Turnhalle, der ganze Vorspann des Films, der den Titel „Der Boxer und der Tod“ trägt, liegt über dieser langen Trainingssequenz. Danach sieht man Krafts blonde Frau Helga (Valentina Thielová), sie legt Kleider zusammen, bevor Kraft aus der Umkleide tritt: als ein anderer Mann, in SS-Uniform.

Er ist Kommandant in einem Konzentrationslager, vom Sport marschiert er im Dunkeln zum Alltagsgeschäft, die Gefangenen sind angetreten, es hat einen Fluchtversuch gegeben, man hat die Männer wieder eingefangen, „Der Boxer und der Tod“ wechselt seinen Rahmen, vom Sportfilm zum Lagerdrama, vom Boxen zum Tod. Den Lagerinsassen hält Kraft eine kleine Moralpredigt, Fliehen ist Foulspiel, das kann er bei seiner Sportler- und Mörderehre nicht durchgehen lassen. Also werden sie sterben, Regel ist Regel, nur einer nicht, Jan ­Kominek (Štefan Kvietik), in dem Kraft an der gebrochenen Nase den Boxer erkennt.

Wieder und wieder rückt der rauchende Schlot der Verbrennungsöfen ins Bild

Der Obszönität des Lagers begegnet Regisseur Peter Solan in diesem 1963 entstandenen slowakischen Film mit einer Dezenz, die man nicht angemessen finden muss, er bleibt dabei aber sehr konsequent. Dass es sich um ein Vernichtungslager handelt, daran gibt es keinen Zweifel. Wieder und wieder rückt der rauchende Schlot der Verbrennungsöfen ins Bild, manchmal im Vordergrund, aber im Hintergrund bleibt er, etwa durch Rückprojektion in einem Fenster, präsent. Einmal kommt eine große Zahl Frauen und Kinder im Lager an, bald darauf sieht man nur noch, verlassen, hinter Draht, ihr Gepäck. Immer wieder hört man Schüsse, sieht Tote, aber das Erschießen und das Sterben sieht man nicht.

Kominek gehört zu denen, die nach dem Fluchtversuch sterben sollen, aber Kraft erwählt ihn sich zum Sparringspartner, später zum Gegner in Kämpfen fürs Lagerpersonal. Er soll nicht nur Fallobst sein, also wird er gepäppelt. Bekommt Brot, während die Mitgefangenen hungern. Einmal gar darf er auf einen Jogginglauf aus dem Lager heraus, ins Grüne, es ist – vom Ende abgesehen, das hier antizipiert wird – das einzige Mal auch, dass der Film seinen finsteren Schauplatz verlässt, über dessen Eingangstor der zynische Buchenwald-Spruch „Jedem das Seine“ steht, an einer Barackenwand: „Der einzige Weg zur Freiheit – Arbeit“.

Das Lagerdrama und der Sportfilm bleiben bis zum Ende verschränkt. Kominek wird erst angefeindet von den nicht privilegierten Insassen, wird dann aber zum Helfer bei neuen Fluchtplänen. Beim Boxkampf bewegt er sich auf einem sehr schmalen Grat. Mit erstarkender Kraft ist er seinem Gegner zusehends überlegen, weiß aber, dass er dessen Gunst durch Siege im Kampf schnell verlieren wird. So sind die Boxkämpfe, die der Film ausführlich zeigt, existenziell aufgeladen. Inszenatorisch bleibt Solan auch hier aber nüchtern.

Tatsächlich beruht der Film, beziehungsweise die Kurzgeschichte von Józef Hen, die er zur Vorlage hat, auf einer wahren Geschichte: Der polnische Boxer Tadeusz Pietrzykowski hat mit Schaukämpfen die Lager von ­Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. Interessant ist die Wahl des immer auch jovialen Krug für die Rolle von Kraft, gespielt als ambivalente Figur mit menschlichen Seiten. Monströs ist er, allzu menschlich, einzig in dieser Jovialität, die sich hier als Sekundärtugend zeigt, mit der man auch als Kommandant in einem Vernichtungslager gut durchkommt.

Ekkehard Knörer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen