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Triggern des Erkenntnisvermögens

Das Solo „Physics and Phantasma“ von Iggy Lond Malmborg in den Sophiensaelen ist ein virtuoser Tanz mit der Vorstellungskraft

Von Katrin Bettina Müller

Vorstellung. Ein einfaches Wort mit mehrfacher Bedeutung. Er stellt sich vor. Er stellt uns etwas vor. Die Sprache erzeugt eine Vorstellung. Man geht in die Vorstellung im Theater.

Um all das geht es in „Physics and Phantasma“, einem Solo des schwedischen Performers Iggy Lond Malmborg. „Physics and Phantasma“ ist Vortrag und Performance zugleich, eine oft die eigenen Mittel thematisierende Aufführung. Eigentlich Theater über Theater, vorgetragen in einem gut zu verstehenden Englisch. Ein theoretischer Diskurs über Sprache, Repräsentanz, Imagination und Identifikation, der deshalb so unterhaltsam und pfiffig konstruiert ist, weil Iggy Lond Malmborg Zuschauer und Zuhörer mit seinen Sätzen ganz sachte an die Hand nimmt und langsam in seine Gedanken hineinführt. Bis sich das System aufklappt, vielfach verzweigt und spiegelt.

Vorstellungen verengen, auf eine Person konzentrieren, die genau beobachten, Großaufnahme; dann das Bildfenster öffnen, langsam ein Panorama entstehen und ein Gefühl für das Vergehen der Zeit einfließen lassen. Was man als filmische Mittel kennt, erzeugt der Performer hier allein mit seinen unprätentiösen Sätzen. Er braucht dabei nicht einmal eine Geschichte, um Spannung zu erzeugen. Wie er sich selbst hinter der Bühne sitzend beschreibt und wie er die Erwartung im Publikum skizziert, in mehrfachen Versionen, reicht.

So wird das Publikum selbst zum Teil der Aufführung. Nicht in dem Sinne, dass sie irgendetwas anderes tun müssten, als aus dem Zuschauerraum auf die Bühne zu blicken, sondern weil seine Vorstellungskraft sie zum Subjekt macht. Sinnvolle und sinnlose Prämissen aufzählt, die sie brauchen, um ihm folgen zu können. Und am Ende in seiner Vorstellung auch den Blick umkehrt und spekuliert, was sie von ihm denken. Oder ob sie nicht vielmehr an ihre nächste Verabredung denken.

Iggy Lond Malmborg, Anfang dreißig, ist mit diesem Solo zum dritten Mal Gast in den Sophiensaelen. Zu seinem Team gehört als Dramaturgin übrigens auch seine Frau. Ihre Projekte sind oft zu Festivals eingeladen.

Vieles, worauf sich Malmborg in seinem Text bezieht, scheint banal, naheliegend, und doch wird es nicht oberflächlich. Er spielt mit dem Erkenntnisvermögen des Zuschauers, legt Köder aus, lässt ihn ankommen in einem Setting, um es dann sachte zu transformieren.

Das hat auch etwas Virtuoses, aber in einem angenehm zurückhaltenden Duktus gehalten. Er kratzt dabei auch an kritischen Punkten des Theaters. Wie explizit muss oder kann es sein, wenn es um Gewalt oder Sexualität geht, zum Beispiel. Oder er erzählt, ausnahmsweise mit sich hysterisch steigernder Stimme, von den Feinden der Kunst, die das Theater umgeben, ihm das Geld kürzen, es zerstören wollen. „Die Feinde, die lesen keine Bücher, die sind nur im Internet“, malt er sich aus und steigert sich hinein in eine Fantasie über die, die neben der Virtual Reality keine andere Realität mehr kennen.

Solche Momente dramatischer Steigerung zielen schließlich auch auf die politische und ideologische Manipulation der Vorstellungskraft. Sie laden die Performance deutlich mit einer Bedeutung auf, die den Kunstkontext übersteigt. Aber die Stärke des Stücks liegt viel eher dort, wo es nahe bei sich bleibt.

Physics and Phantasma:Sophiensaele, Sophienstr. 18, 3./4. Juli, 20 Uhr

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