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So schön ist Kapitalismus

Mit einem falschen Heringsversprechen lockt die Kunsthalle in die Ausstellung niederländischer Malerei des Goldenen Zeitalters aus der Sammlung Carl Schünemann

Flora und Fauna sind angerichtet: Jeronimus Sweerts‘„Stillleben mit Blumenkorb und Papagei“ Foto: Kunsthalle Bremen

Von Benno Schirrmeister

Rauchen Sie? Nein? Interessieren Sie sich denn wenigstens für Fischereitechnik? Echt nicht?! Oh, schitte. Manchmal fällt es nicht so leicht, sich klar zu machen, dass eine Ausstellung einen etwas angehen könnte. Und besonders schwer macht es in dieser Hinsicht die Kunsthalle mit ihrer von „privaten Förderern zur Würdigung [....] des Naturprodukts Tabak und aller Rohtabakfirmen, die dieses Produkt bearbeiten und handeln“ unterstützten aktuellen Schau.

Sie trägt den wenig verheißungsvollen und, was die Fischfrage angeht, irreführenden Titel: „Tulpen, Tabak, Heringsfang“. Ihr Herzstück sind 32 der 34 Gemälde, die der Verlagserbe Carl Schünemann dem Museum im vergangenen Jahr geschenkt hatte, nämlich diejenigen Werke, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden entstanden sind. Also jener Phase, in der sich vor allem in der Provinz Holland die erste moderne Ökonomie herausbildet, dank einer enorm toleranten Gesellschaft und massiver Einwanderung, beispielsweise von Religionsflüchtlingen aus ganz Europa, kolossale Reichtümer angehäuft werden – und, unter Einsatz von Blut und Waffen, die erste Globalisierungswelle in Gang kommt.

Das „Goldene Zeitalter der Niederlande“ wird diese Zeit oft geheißen, dabei war sie, anders als von der mythologischen Topologie vorgesehen, alles andere als friedlich: „Die Niederländer führten von 1572-1713 permanent irgendwo auf der Welt Krieg“, resümiert der Politologe Ulrich Menzel 2008 in seiner lesenswerten Fallstudie „Imperium oder Hegemonie“. Hinzu kommt, dass sich weder territorial noch staatsrechtlich ohne Weiteres klären lässt, was denn die Niederlande damals überhaupt sind. Nur, dass sie unglaublich mächtig waren, scheint gesichert.

Und kunstverrückt: Mitte des 17. Jahrhunderts entstehen jährlich mindestens 63.000 Gemälde, von den rund zwei Millionen Einwohner*innen verdienen damals etwa 650 ihr täglich Brot mit Malerei. Auf heute übertragen müsste es in Deutschland 26.000 freie bildende Künstler*innen geben, und nicht bloß 9.000. Faszinierend ist das, weil mit der staatlichen Unbestimmtheit und der Vorherrschaft des Calvinismus die klassische Kunst-Nachfrage wegfällt. Keine Hofmalerei, keine Votiv- und Heiligenbilder, nichts dergleichen.

Unklar bleibt nach wie vor, was genau das zu Macht gelangende Bürgertum so versessen macht auf diese „Schilderijen“, die ein Repräsentationsbedürfnis doch wohl nur selten erfüllen. Aber was wollen die Patrizier mit den mitunter penetrant moralisierenden Genreszenen und Miniaturlandschaften?

Woher kommt ihr Zug zu dem, was sich heute anachronistisch, aber eingängig als Fotorealismus beschreiben lässt? Sollte es tatsächlich um Aneignung von Wirklichkeit gehen? Oder sogar darum, diese in der malerischen Aneignung erst neu zu schaffen? Ist das der Grund für den Aufwand, den Jaco Ochtervelt mit dem hellblauen Seidenkleid betreibt, das die Frau zeigt, der ein Ständchen gebracht wird: Es leuchtet und glänzt und sein Faltenwurf wirkt so plastisch, als würde er nur mühsam von der Firnisschicht auf der Leinwand festgehalten. Bedeuten die Darstellung der teuren Tulpe, des Papageis und der Muschel aus Java deren Inbesitznahme?

Immerhin wird mit Macht hier eine neue Weltordnung etabliert, wobei den Malern mindestens eine gewisse Komplizenschaft zukommt. Und dem Hering schließlich seine Schlüssselfunktion.

Woher der Zug zum Fotorealismus? Bedeutet die Darstellung des Papageis seine Inbesitznahme? Hier wird mit Macht eine neue Welt-ordnung etabliert und die Maler sind dabei doch mindestens Komplizen

Aber wer sich für den interessiert und sich in der Kunsthalle gern an einem schön gemalten Matjes sattsehen möchte, für den hält die Ausstellung allerdings eine Enttäuschung parat. Es gibt keinen, nicht einmal einen Heringsschwanz. Wenn die irgendwie fischig und durch weißlose Augen seelenlos wirkenden Fischer den Scheveninger Bürgersleuten auf Hendrik Vrooms Strandlandschaft ihren Fang präsentieren, hat man es vielleicht mit Wolfsbarschen oder Finten zu tun: Groß und kiloschwer liegen sie da ausgebreitet im Sand. Und auch keins der Seestücke scheint eine Harengbuis in Aktion zu zeigen, also jenen Schiffstyp, dessen technologische Neuerungen den entscheidenden Vorsprung beim Fang dieses Grundnahrungsmittels der frühen Neuzeit bedeutete. Diese Schiffe waren groß genug für eine lange Fahrt mit viel Besatzung, und bot Lagerraum fürs Salz, in das man die Tiere gleich nach dem Fang eingelegt hat, die man oft genug in britischen Gewässern eingenetzt hatte. Weshalb man stets im Flottenverband und oft genug militärisch eskortiert auf Heringsfang ging.

Ins Museum mit kunstsoziologischen oder auch nur motivgeschichtlichen Fragen zu gehen, ist ohnehin wahrscheinlich ein völlig falscher Ansatz. Sie lassen sich am Original ja viel schlechter beantworten als an Reproduktionen. Und sogar die Idee, kunsthistorisch hier in irgendeiner Weise schlauer rauszukommen, ist vermutlich irrig, weil es doch ausgeschlossen ist, sich tatsächlich mit der Materialität dieser Gemälde auseinanderzusetzen. Vielleicht ist es eher umgekehrt: Dass sich diese Fragen erst stellen nach der Begegnung mit dem Original, sozusagen um mit dessen bestürzender Schönheit klarzukommen.

Denn viele dieser Bilder sind schrecklich schön: Klar gibt es ein paar, in denen Bauern auftreten, so ungehobelt, dass sie Frauen begrabbeln müssen und an die Wand pissen, zum Piepen komisch und dumm, es ist unmöglich, nicht den Klassenunterschied zu spüren. Dort, wo es um solche Differenz nicht geht, zeigen sie Menschen, die in friedliche Handelsbeziehungen miteinander treten, die kaufen und verkaufen. Sie zeigen wirklich fabelhafte Seidenkleider, und sie zeigen Blüten-Arrangements von wunderprächtigen Rosen und gefüllten Tulpen. Sie zeigen das stolze barocke Ross, in dessen Schatten sich ein Paar voneinander verabschiedet. Diese Bilder entwerfen eine Welt, in der alles fassbar, alles greifbar, alles Ware ist, sogar der Tod. Und in der alles, was Ware sein kann, auch durch Malerei verewigt und gepriesen werden kann – sogar der Tabak. Es ist unsere Welt. Und diese Welt ist schön. Und immer neu.

Bis 26. 8., Kunsthalle Bremen, täglich außer Mo, 10–17 Uhr, Di bis 21 Uhr

Katalog: Dorothee Hansen, „Tulpen, Tabak, Heringsfang“, Schünemann, Bremen, 172 S., 29 Euro

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