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Kolumne MittelalterArroganz für Fortgeschrittene

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Wie wir uns fremden Welten nähern, sagt einiges über uns aus. Ob es nun um Kinderlose geht oder um das Erlernen der polnischen Sprache.

Julia von Blumenthal wird neue Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) Foto: dpa

W enn man drei Kinder hat, dann fühlt sich Ende 40 oft eher wie das neue 60 an als wie das neue 30. So weit klar? Zahlen – auf das Thema kommen wir noch zurück.

Ich bin derzeit Strohwitwer, das heißt, ich habe keine Frau, keine kleine Tochter, nur noch zwei Teenager-Söhne. Die muss ich ein wenig überwachen und streicheln. Nach jahrzehntelanger Kinderaufzucht bin ich dafür überqualizifiert.

Das hat interessante Nebeneffekte. Kürzlich sagte mir ein siebzigjähriger Kollege, ich würde so jung aussehen. Kein Wunder: Seit ich nichts mehr zu tun habe, gehe ich morgens joggen und nach der Arbeit schwimmen, plätschere abends in Fußbädern und trage Feuchtigkeitsmasken auf. Die Frage ist insofern nicht, wieso ich plötzlich verjüngt rüberkomme, sondern wieso die Kinderlosen oft so alt aussehen. Was machen sie den ganzen Tag, wo sie doch für niemand anderen etwas tun müssen?

Der Polenpendler

Kommen wir nach dieser offenen Frage wieder zu den Zahlen. Mein Alleinsein muss gefüllt werden. Und da ich neuerdings nicht nur Strohwitwer, sondern auch Polenpendler bin, lerne ich wieder Polnisch. Wieder. Vor ein paar Tagen war die neue Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) zum Interview bei den Kollegen vom RBB. Da durfte die Frage nicht fehlen, ob Julia von Blumenthal denn schon Polnisch lerne.

Sie habe es probiert, sagte sie: „Ich habe vor anderthalb Jahren mal einen Kurs belegt, habe aber dann festgestellt, dass meine Zeitbudget nicht ausreicht und ich auch etwas zu ambitioniert war, weil ich nicht mit dem allerersten Anfängerkurs angefangen habe, sondern in die zweite Stufe eingestiegen bin.“ Seit diesem Januar sei sie nun in einem „realistischen Kurs“.

Nachdem Frau von Blumental mit akademischer Hybris die Sprache dieses zum Berliner Umland gehörenden Ländchens en passant sich reinziehen wollte und mit dieser Attitüde krachend gescheitert ist, geht sie die Sache nun weniger arrogant an.

Sollten Sie oder sollte die neue Präsidentin der Viadrina mit dieser Interpretation des Geschehens nicht einverstanden sein, schreiben Sie bitte keinen Leserbrief: Setzen Sie anstelle des Namens von Frau von Blumenthal einfach meinen oder „Wir alle deutschen Polnisch Lernenden“. Wir alle deutschen Polnisch Lernenden haben nämlich mal geglaubt, wir könnten eine hochpoetische und komplexe Sprache, in der etwa die Zahlen 2, 3, 4 einen anderen Fall nach sich ziehen als die Zahlen 5, 6 folgende, mal eben so mitnehmen. („dwa miesiące temu“ – vor zwei Monaten; pięć miesięcy temu – vor fünf Monaten). Ist doch nur Polnisch beziehungsweise: Ist doch nur Polen.

Und wenn Sie jetzt sagen, dass meine obigen Ausführungen zu den kinderlosen Unterbeschäftigten nicht minder arrogant seien als unser Lernverhalten gegenüber dem Polnischen, dann sage ich: Da denk ich mal drüber nach – entweder beim Joggen oder beim Schwimmen.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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5 Kommentare

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  • Mit Thomas Kapielski - "Einfaltspinsel=Ausfallspinsel!;)"

     

    Brachte doch mein Lieblingsweggefährte & polnisch wg

    Frankfurt/Oder-Aufbau-Ost eh locker zur x-ten Sprache dazu lernend -;)

    Das dazu passende polnische Stereotyp für ´Schlander mit!

    "Der deutsche Michel ist e weng schlicht, ordentlich anstellig & eigentlich soweit ganz brauchbar.

    Doch. Doch.

    Aber wenn die Eltern abends noch zu Tisch sitzen - ;)

    Sind die Kinder im Bett!"

     

    Nu. Wer wollte da ernsthaft widersprechen?!

    So viel Arroganz darf ruhig mal sein. Gellewelle.

  • Frau v. Blumenthals Heransgehensweise an das Polnische ist wahrscheinlich nur die übliche "Das pack ich schon"-Haltung sprachbegabter Menschen beim Erlernen einer neuen Sprache. So geh ich auch an Fremdsprachen heran, insbesondere wenn ich eine aus dem Sprachenkreis schon kann. Und vermutlich kann Frau Blumenthal schon eine slawische Sprache, sonst wäre sie nicht in einen Fortgeschrittenenkurs gegangen, wo sie festgestellt hat, dass Polnisch doch noch schwerer ist. Gut zu wissen, denn ich überlege auch, Polnisch zu lernen.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @miri:

      Wenn man bereits eine andere slawische Sprache kann, braucht man nicht wieder von einem Kurs der zweiten Stufe in die darunterliegende zu wechseln. Die slawischen Sprachen sind sich derart ähnlich, dass man auf diesem niedrigen Niveau ohne weiteres auch nach ein wenig privater Vorbereitung auf einem höheren Niveau einsteigen kann.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Sehr schöne und köstliche Glosse. :-)

     

    Ich kenne zudem, was Sie schreiben, selbst. Nicht nur habe ich drei erwachsene Kinder, sondern ich lerne auch schon seit langem Polnisch (mit 2 Jahrzehnten Unterbrechung dazwischen). Ich lese in recht vielen und spreche eine handvoll Sprachen fließend. Aber das Polnische (in dem ich beleibe noch nicht fließend bin, obwohl ich mich netto damit 5 Jahre recht intensiv beschäftigt habe) scheint mir weitaus nuancenreicher und schwieriger als alle anderen Sprachen, die ich bisher zu lernen versucht habe (dagegen scheint mir etwa Hebräisch, abgesehen von den Schriftzeichen, ein Klacks).

     

    Mich betrübt, dass wir Deutsche von dieser Sprache bzw. die durch sie transportierte Kultur wenig Ahnung haben und dass wir überwiegend der Ansicht sind, dass wir diese auch nicht nötighaben. Bei Polen denken die meisten noch eher an Autoklau, als an Literatur und sonstige kulturelle Leistungen dieses bemerkenswerten Volks, das nicht nur unter der deutschen Besatzung extrem gelitten hat.