berliner szenen: Es tut gut, kein Wort zu sprechen
Mit ihrem riesigen Bauch – sechs Wochen bis zur Geburt – balanciert eine Freundin auf einem Sitzball und trinkt Tee. Wir sitzen ihr gegenüber auf der Couch mit einer Flasche Rotwein und hören zu. Davor halfen wir ihr, das Auto zu packen: Berlin ist ihr zu stressig geworden, sie zieht aus. Sie heult und lacht zugleich. Taschentuch in der Hand, rot im Gesicht, redet sie wie ein Wasserfall. „Die Hormone“, sagt sie.
Als wir schon auf der Straße sind, mit einem Olivenbaum, den wir von ihr geerbt haben, merken wir, dass wir einen Schnaps brauchen.
Die Eckkneipe hat schon zu, aber die Wirtin sagt, dass nette Gäste noch einen trinken dürfen. Sie zeigt auf den Baum und fragt, ob wir immer mit „Freundchen“ auf Kneipentour gehen. Wir erzählen ihr vom Umzug und sie fängt an, über die Wohnungssituation Berlins zu quatschen.
Früher, als sie die Kneipe aufgemacht habe, wollte doch niemand in Neukölln wohnen, heutzutage sei nicht einmal ein Zimmer bezahlbar. „Zum Glück“ sei sie von Gentrifizierung selber nicht betroffen: Vor zwanzig Jahren haben ihr Mann und sie es geschafft, sich eine eigene Wohnung zu kaufen. Sie habe damals „nichts“ gekostet, erzählt sie weiter und spült Biergläser ab. Dagegen habe sie damals dreitausend Mark für Gardinen bezahlt. Ihr Mann wollte das Geld nicht ausgeben, doch sie habe darauf bestanden. „Das war mein Traum, dicke Gardinen zu haben, wie ein Theatervorhang.“ Die Gardinen waren weiß, deshalb ließ die Wirtin sie einfärben. Daraus sei ein Rot geworden, das es nirgendwo zu finden gebe. „Kein Katalogrot“, sagt sie. Ob sich unsere Freundin sicher war, aus Berlin wegzuziehen? „Ich könnte das nicht“, sagt sie und redet einfach weiter, während sie die deutschen Fahnen von draußen aufräumt. Irgendwann stehen wir auf, nehmen den Olivenbaum und fahren mit dem Taxi nach Hause. Es tut gut, kein Wort zu sprechen.
Luciana Ferrando
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