: International sind sie Leverkusen geworden
Die Bayern scheiden gegen Madrid im Halbfinale der Champions League aus. Neben der Heldentod-Metapher gibt es noch eine Deutung: Unvermögen
Aus Madrid Florian Haupt
Als der Puls langsam runterging und die meisten Zuschauer das Estadio Santiago Bernabéu schon verlassen hatten, brachte ein denkwürdiger Abend noch eine letzte Erkenntnis: um die Zukunft des Frauenfußballs muss man sich keine Sorgen machen. So virtuos ließ ein kleines Mädchen im rosa Strickjäckchen den übrigen Spielernachwuchs von Real Madrid ins Leere rutschen. Dann kamen die Väter selbst in eigens angefertigten Final-T-Shirts noch mal aus der Kabine, um den letzten Unentwegten erneut zu danken. Real feierte das so unwahrscheinliche wie folgerichtige 2:2 gegen den FC Bayern wie einen Titel. Die Münchner Fans mussten sich das in voller Mannschaftsstärke anschauen, sie wurden aus Sicherheitsgründen noch nicht aus ihrem Block gelassen. Wohin mochten ihre Gedanken gehen? Die Chancen von Lewandowski, Müller, Tolisso? Die Paraden von Madrids Torwart Keylor Navas, den Patzer von Sven Ulreich? Das nicht geahndete Handspiel von Marcelo? Die dämliche 1:2-Niederlage vom Hinspiel? Oder dieses Gefühl, das später von der Statistik untermauert wurde: dass die Madrilenen im eigenen Stadion selten eindrucksvoll beherrscht wurden?
Mats Hummels
Man konnte das alles unter dem „Heldentod“ verbuchen, den Karl-Heinz Rummenigge schon vorher prophezeit hatte. Weshalb den Vorstandsvorsitzenden die Spiele gegen Real Madrid immer zu so arg militaristischen Metaphern inspirieren, wäre noch mal eine eigene Untersuchung wert. Jedenfalls blieb er sich bei seiner nächtlichen Rede während des Sponsorenbanketts insofern treu, als er vermisste, „Real in den Abgrund gestoßen“ zu haben. Ansonsten geizte er nicht mit Lobhudeleien: „À la bonne heur“ habe sich die Mannschaft präsentiert, „die ganze Welt“ zolle dafür Respekt, und insgesamt suche Bayerns Saison „ihresgleichen“. Rummenigge übernahm damit geradewegs die euphorische und auch emotionale Lesart von Trainer Jupp Heynckes. Dieser hatte den Spielern in der Kabine gedankt und erklärt, „den FC Bayern schon viele Jahre nicht mehr in dieser Verfassung, in dieser Form gesehen zu haben“. Darin manifestierte sich ein verklausuliertes Selbstlob, denn natürlich ist unschwer zu erraten, wann die Münchner nach Heynckes’ Auffassung zuletzt so stark waren – 2013, als sie unter ihm die Champions League gewannen. Wie es wohl weitergegangen wäre, hätte der Klub ihn damals behalten? Seither jedenfalls sind die Bayern zum fünften Mal hintereinander an einer Mannschaft aus derselben Liga gescheitert: der international dominanten Primera División. Und so gab es an diesem Abend auch noch ein anderes Interpretationsmuster als das der unglücklichen Helden. Es wurde von den Spielern selbst vertreten, nachdem sie sich allmählich von dem Schock des Schlusspfiffes erholt hatten, der sie zu Boden sinken ließ, und es handelte von „Unvermögen“. So formulierte es Mats Hummels, er hob damit auf die Patzer von Rafinha vor dem 1:2 in München und nun auf den von Ulreich zum 2:1 von Benzema zu Beginn der zweiten Halbzeit ab, schloss aber auch die Offensive mit ein: „Gefühlt haben wir das Spiel im Strafraum von Real verbracht. Dafür haben wir aber erstens ein paar zu wenige Chancen kreiert und zweitens die vorhandenen nicht konsequent genug genutzt.“
Unter dem Strich lagen die Bayern in 180 Minuten der Auseinandersetzung nur rund eine Viertelstunde vorn, nach dem 1:0 im Hinspiel. Weshalb sich Reals Toni Kroos zumindest nicht widersprechen ließ, als er ausführte: „Wir haben keine zwei überragenden Spiele gemacht, und man kann von mir aus auch sagen, dass Bayern die bessere Mannschaft war. Aber trotzdem hatte ich nie Zweifel daran, dass wir ins Finale kommen. Weil ich in jeder Sekunde immer das Gefühl hatte, wir können auch noch ein Tor schießen.“ Tatsächlich war die Partie von so anarchischer Natur, dass alle Konjunktive notwendigerweise zu kurz griffen. Wer weiß schon, was etwa ohne Ulreichs Aussetzer passiert wäre? Real jedenfalls ritt ein „Grundbewusstsein“ aus drei Champions-League-Titeln in den letzten vier Jahren, wie Kroos sagte. „Sieger-Gen“, nennt man das in München gern, aber dieses scheint sich partout nur noch zwischen Flensburg und Memmingen zu zeigen. In Europa werden die Bayern zunehmend zu einer Art Leverkusen – es geht raus nach starkem Fußball, unter allseitigem Mitleid, Schulterklopfen und der Frage, wie eine Mannschaft so viel Pech haben kann. Aber es geht raus, diesmal besonders bitter, und das, so Hummels, „wird noch in zehn Jahren wehtun“.
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