: Mit Wucht ins Ungefähre
Mit „Crash“ choreografiert der langjährige Tänzer Frederik Rohn erstmals selbst ein Stück im Theater am Goetheplatz
Von Jan Zier
Es hat schon angefangen, wenn du zu ihnen in die Düsternis kommst, und es hat noch kein Ende, wenn du ihr wieder entfliehst, schon gar kein glückliches. Vorbei ist der „Crash“ nur für dich als Zuschauer, nach 70 Minuten – ohne dass es schließlich irgendeine Pointe gegeben hätte, einen Hinweis, ob und wie es weiter geht, weiter gehen kann. Die choreografische Begegnung mit dem eigenen Kontrollverlust – sie versandet einfach irgendwann, kurz nach dem bunten Lametta-Feuerwerk.
Dabei hätte so eine Pointe dem Debüt von Frederik Rohn als Choreograf gerade jene Präzision geben können, die es fassbarer machen und zugleich aus dem Ungefähren, rein Gefühligen heben könnte, in dem sie nun verbleibt. Andererseits kommt Letzteres gerade im Tanztheater natürlich häufig vor.
Die Inszenierung kreist um die Frage, wie wir mit traumatischen Erlebnissen umgehen, wie wir reagieren, wenn unser Leben plötzlich angestammte Gewissheiten verliert. Der „Crash“ kommt hier aber nicht als großer Knall daher, und schon gar nicht entspringt er einem konkreten Ereignis. Das Stück will allgemeingültig sein, sein Thema im Großen und Ganzen verhandeln. Darum verzichtet es auf jede Klarheit, auf die Einzelschicksale des Individuums. Was wirklich ist, was geschah und was vielleicht nur ausgedacht ist oder eingebildet – all das erfahren wir nicht. Es soll hier nicht wichtig sein.
Entsprechend reduziert ist auch das Bühnenbild, das Rohn selbst gemacht hat. Alles ist schwarz und nüchtern, ernsthaft und trostlos, nur ein paar wenige Strahler erhellen die Bühne. Unter der Decke dieses Gefängnisses hängt ein kaputtes Auto, vermutlich: weil das hierzulande ein sehr naheliegendes Bild für den Crash ist; es spielt im Stück keine weitere Rolle. Hinten in der Ecke führt ein Weg ins Nirgendwo, oder aus ihm heraus, die Straße ist mit Kreide beschrieben, der Text ist nicht zu lesen. Dem Zuschauer bleiben nur weiße Fußspuren im weiten Schwarz. Und so wird selbstverständlich auch keine Geschichte erzählt, auch wenn manche der sieben hervorragenden TänzerInnen auf der Bühne durchaus Ansätze von echten Charakteren zeigen, also nicht nur Symbolträger sind. In assoziative Schleifen kämpfen sie mehr mit sich als mit- oder wenigstens umeinander. Verlust, Angst, Trauer, Schmerz, Verzweiflung – all das schwingt da irgendwie mit, das Erleben und das Überleben, der Wunsch nach Gemeinsamkeit und die Einsamkeit des Nebeneinanderherlebens.
Eine Frau hyperventiliert, ihr Atmen tanzt in wildem Rhythmus, bis sie schließlich nurmehr am Boden hockt und zwar im Zentrum, aber doch allein bleibt. Und wo sich doch zwei treffen, da scheitert es auch immer wieder. So wie bei jenen beiden akrobatischen Tänzerinnen, die sich Unverständliches zurufen und miteinander ringen, bis die eine schließlich die andere über die Bühne kugelt, als ihre Beine hinterm Kopf verschränkt sind. Das ist ein Moment, in dem all das Schwere ganz kurz etwas Komik gewinnt.
Über allem liegt atmosphärisches Rauschwerk, das die Pianistin Laura Konkjetzky komponiert hat, unmelodiöse Klänge, kaum rhythmisch, dafür umso sphärischer. Rohn hat die Musikerin eigens beauftragt, anders als bei den Unusual Symptoms sonst oft, wird hier aber nicht live gespielt. Ein Vergleich mit dem langjährirgen Hauschoreografen Samir Akia, unter dem Rohn seit 2012 als Tänzer engagiert ist, liegt nahe – schon weil beide aus der berühmten Essener Folkwang-Uni kommen, beide nun mit derselben Tanzcompagnie arbeiten. Und doch verbietet er sich. Rohn, dessen Tänzerkarriere mit Anfang 40 vor dem Ende ist, steht als Choreograf noch am Anfang und will mehr sein als nur eine Kopie des Meisters. Aber die diffuse Furcht vor dem Fall, um die es hier geht – sie ist auch seine eigene.
Mo, 2. 4., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus. Weiterer Termin: 13. 4., 20 Uhr
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