: Volle Raumdeckung
Galerie, Wohnzimmer und Künstlerselbstverwaltung: „oqbo“auf der Weddinger Brunnenstraße feiert zehnjähriges Jubiläum
Von Lorina Speder
„Vor zehn Jahren, da lief hier nicht viel. Es gab eine Initiative, um kreative Leute in die Gegend zu holen“, sagt der Maler Michael Bause und meint damit die Bemühungen der Stadt, die Brunnenstraße auf Weddinger Seite zu beleben. Anfang 2008 kam die Wohnungsbaugesellschaft Degewo auf Künstler wie ihn zu und bot ihnen Ladenlokale für kreative Projekte an. Als Bause daraufhin mit fünf befreundeten KünstlerInnen im Frühjahr jenes Jahres den Raum für Bild, Wort und Ton namens „oqbo“ mit Ruprecht Dreher gründete, musste er nicht einmal Miete zahlen.
In der Nähe des U-Bahnhofs Voltastraße herrscht heute ein Mix aus Spielkasinos, Restaurants und Ladenlokalen. „Die Idee der Stadt, eine Art Modestraße entstehen zu lassen, hat sich schnell zerschlagen“, fährt der 1954 geborene Künstler fort. Die Mode- und Kunstszene, die einige U-Bahn-Stationen weiter Richtung Mitte aktiv ist, hält sich vom Wedding fern. Trotzdem blieben Bause, Christian Bilger, Frank Eltner, Dirk Lebahn, Seraphina Lenz und Julia Ziegler standhaft. In den Achtzigern kamen sie aus Städten wie Münster und Heidelberg nach Berlin und arbeiteten auch schon vor der Galerie oqbo zusammen.
Die Idee, einen gemeinsamen Raum zu eröffnen, erschien ihnen nach dem Angebot deshalb ganz selbstverständlich. „Wir sahen das als Chance, mehrere künstlerische Disziplinen zu verbinden“, erzählt Bause. „Oqbo sollte eine Art Club werden, in dem man diskutieren und reden kann.“
Das erste Ereignis in der Galerie vor 10 Jahren war deshalb auch eine Lesung, durchgeführt mit dem Verlag Matthes & Seitz. Aus der losen Zusammenarbeit entwickelte sich eine Freundschaft und fortlaufende Kooperation – jede Ausstellung begleitet nun mindestens ein philosophischer Abend mit Vorträgen und Gesprächen. Auch wenn nicht mehr Platz als in einem herkömmlichen Wohnzimmer ist, finden die Veranstaltungen inmitten der ausgestellten Gemälde und Installationen statt. Das hat etwas Gemütliches. Bause ist außerdem wichtig, dass die jüngere Generation involviert ist. So lässt Daniela Seel, Autorin und Gründerin des Independent-Verlags kookbooks, an weiteren Abenden Lyriktalente zu Wort kommen.
Bei der ersten Ausstellung im April 2008 war lediglich ein Schrank, der in dem leeren Galerieraum stand, zu sehen. In seinen Schubladen befanden sich 14 Mappen mit Zeichnungen und Papierarbeiten von Künstlern. Während des Ausstellungszeitraums konnten Besucher diese mit weißen Handschuhen erkunden und die Werke auch erwerben.
Auswählen und Stöbern
„Wir haben Papierarbeiten auf eine andere Art gezeigt. Das Versammeln um die Schränke, dabei Auswählen und Stöbern schafft einen besonderen Zugang zu den Werken“, sagt Bause. Sonst hätte man selten die Möglichkeit zu erfahren, was auf der Rückseite von Arbeiten steht oder wie schwer und dick das Papier ist. Inzwischen ist auch dieses Format ein Merkmal von oqbo geworden. Die „Paperfiles“-Reihe etablierte sich zu einem jährlichen Event im Galerieraum und ging während der Positions Berlin Art Fair in die 13. Runde. „Wir bekommen viele Bewerbungen und wählen die Mappen selbst aus“, sagt Bause und beschreibt damit die kuratorische Arbeit, die er und seine Kollegen jeden Monat neben der Ausstellungsvorbereitung und -planung betreiben. Momentan vertritt oqbo 165 Mappen von Künstlern wie Katharina Grosse, Renate Wolff oder John Bock. Wenn die Mappenschränke nicht der Mittelpunkt einer Ausstellung sind, können deren Inhalte auch jederzeit im Hinterraum der Galerie angeschaut werden.
In der Jubiläumsausstellung gibt es nun einen Rückblick auf alle bisherigen Projekte, per Diaprojektor im Keller. Oben zeigen die Gründungsmitglieder ihre eigenen Arbeiten. In jeweils zwei ausgestellten Werken sind künstlerische Entwicklungen zu erkennen – eine Arbeit ist aktuell, die andere aus dem Jahr der Galerieentstehung. Zwischen den Ziegelsteinen in Julia Zieglers gemalter Mauer namens „True Grid“ aus diesem Jahr schimmert in den Linien der Ziegel ein kosmischer Farbverlauf, der wie Polarlichter und die Farbigkeit des Horizonts aussieht. Durch diesen Bezug meint man in ihnen die „Wolken“ auf Papier von 2008 erkennen zu können.
Bauses zwei identisch große Gemälde sind eigenwillige Farbstudien. Auf dunklem Grund erkennt man in seiner unbetitelten Arbeit von 2008 drei runde Farbkleckse in Weiß, Lila und einem Schwarzton. Alle drei Formen weisen im Pinselstrich unterschiedliche Strukturen auf. Die Intensität des Violett begründet sich in Bauses Experimentieren mit der Überlagerung mehrerer Lack- und Acrylschichten. In der Galerie erkennt man, dass der Maler über die Jahre in seinen Farb- und Materialstudien immer ausgelassener wurde. Während die Farbbezüge in der älteren Arbeit noch voneinander getrennt und in sich abgeschlossen wirken, überrascht das neue Gemälde mit zwei großen, kräftigen Farbzentren. Die wilden Schichtungen aus einer ganzen Farbpalette darin kann nur der Rand begrenzen.
Michael Bauses Gemälde erinnern an seine eigenen Worte zu oqbo: „Es war ein sachter Start.“ Danach ließ man alles auf sich zukommen. Nur so konnte sich ein offener Raum entwickeln, der durch die Sorgfalt und Leidenschaft der Gründungsmitglieder in mäßigem Tempo und ohne jede künstliche Aufregung zu einer herausragenden Adresse für Kunst, Literatur und Musik wurde. Eine solche Qualität ist anziehend – wer weiß, vielleicht folgt die Szene aus Mitte letztendlich doch in naher Zukunft.
„Still in good shape, oqbo 2008 – 2018“, Brunnenstraße 63, Do.–Sa. 15–18 Uhr, bis 7. April
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