: Der ungeheure Reiz der fiesen alten Männer
Der Kunstverein in Oldenburg zeigt Werke des vielseitigen und beeindruckenden Maler, Grafiker und Bildhauer Thomas Schütte, der hier geboren wurde – heute aber vor allem anderswo gefeiert wird
Von Radek Krolczyk
Auf dem Platz vor der Zentrale der Oldenburger Landessparkasse steht eine Figur von Thomas Schütte. Das liest sich wenig rühmlich – für den Künstler: Mehr Provinz geht nicht. Schütte schien das bewusst gewesen zu sein, als er 2009 seinen fünf Meter hohen „Mann im Matsch“ auf den Platz stellte: Mehr Ironie gegenüber seinem Auftraggeber geht nicht.
Nun steht da ein Mann fast knietief im Schlamm, direkt vor dem Sitz einer Institution, deren Image außer „Beständigkeit“ wenig hergibt. Er ist scheinbar vollkommen orientierungslos, aber äußerst konzentriert und hält eine Wünschelrute in den Händen. Aufgeräumt – man könnte auch „kleinkariert“ sagen – umgibt das Gebäude diese riesige, ungelenke Gestalt, die da steht, als hätte sie sich verirrt.
Es ist nicht gerade ein ehrenhaftes Denkmal, das die Landessparkasse sich da gekauft hat, allerdings ein lustiges und durchaus denkwürdiges. Denn es stellt all den Pathos zur Disposition, der zu vielen figürlichen Denkmälern gehört – ohne jedoch die Figur als solche aufzugeben.
Weitere Arbeiten des Bildhauers, Malers und Grafikers sind derzeit im Oldenburger Kunstverein zu sehen. Zu seinem 175-jährigen Bestehen leistet er sich eine Ausstellung mit dem berühmten Sohn der Stadt, der zwar berühmt ist, aber kein so richtiger Sohn der Stadt. Zwar wurde er 1954 in Oldenburg geboren, allerdings zog seine Familie schon bald darauf nach Düsseldorf.
Thomas Schütte scheint es dort zu gefallen. Zunächst studierte er dort in den 70er-Jahren an der Kunstakademie bei Fritz Schwegler und Gerhard Richter, von denen er den vielseitigen Umgang mit Stil und Material übernommen haben könnte. Aber auch heute noch lebt und arbeitet er in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, nach Teilnahmen an drei Ausgaben der documenta, der Münsteraner Skulpturenprojekte und der Biennale in Venedig 2005, bei der er mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet wurde.
Er hatte in den Giardini einige riesige, versilberte Frauenfiguren gezeigt. Im Katalog hieß es dazu: „Expressiv, kubistisch, klassisch, archaisch: All diese Definitionen der Kunstgeschichte öffnen und vermischen sich unter einem formalen Gesichtspunkt“. Ein künstlerischer Rundumschlag.
Grobe Figur, feine Konstruktion
Gefeiert wurde Thomas Schütte auch für eine ganz andere, nichtfigürliche, architektonische Skulptur: „Modell for a Hotel“. Schütte hatte 2017 am Trafalgar Square in London aus Glasplatten einen Bau errichtet, in dessen 21 verschiedenfarbigen Glasetagen sich das Licht brach. Es war ein Hotel, in dem kleine Vögel einkehren konnten. Grobe Figur und feine Konstruktion – Thomas Schütte kann beides.
Seine Arbeiten wurden in großen Einzelausstellungen, sowohl im Henry Moore Institute in Leeds als auch im Museo Reina Sofia in Madrid, gezeigt. Oldenburg wirkt in einer solchen Ausstellungsliste eher seltsam, wobei der Name der Stadt bei Schütte öfter vorkommt. 2009 zeigte er bereits im Oldenburger Horst Janssen Museum seine Radierungen.
Schlicht und selbstbewusst
Die aktuelle Schau im Oldenburger Kunstverein heißt schlicht und selbstbewusst „Thomas Schütte“. Jeder weitere Titel scheint überflüssig. Dieses extreme Selbstbewusstsein hat seine Berechtigung, wie man allein schon an der großen Vielfalt der Stile und Techniken der ausgestellten Arbeiten sehen kann. Schütte, der selbst für den Aufbau nach Oldenburg gekommen war, zeigt Radierungen und Aquarelle, sowie kleine Bronzen und große Figuren aus Stahl und Aluminium.
Eine beeindruckende Figurenserie, die Schütte in Oldenburg zeigt, ist die achtteilige „Bronze-Edition-Frau“, an der er von 2007 bis 2017 arbeitete. Die kleinen Akte funktionieren nur als Serie, weil es hier auf die eigenwillige Variation dieses sehr alten Themas ankommt. Schüttes Frauen liegen in mal sinnlichen, mal obszönen Posen auf eigens für sie angefertigten Stahlsockeln. Ihre Formen und Oberflächen sind grobschlächtig, fast dilettantisch gearbeitet. Einige sind wulstig und fleischig, manche deuten als Torsi oder Stümpfe einen Körper bloß an.
Was seltsam ist: sie alle wirken trotz all der Zurichtung kraftvoll und erhaben. Alle Figuren klingen an frühere Versuche moderner Künstler am liegenden Frauenakt an: Picasso, Matisse oder Moore. Ihre starken Alterungsspuren unterstreichen zugleich den organischen Charakter der Formen, wie den historischen des Motivs.
Interessant ist eine Dynamik, die sich sowohl in den Frauenfiguren, als auch in den Frauenzeichnungen zeigt: das Fließen. Es ist erstaunlich, wie viele unterschiedliche Bedeutungen liquide Formen bekommen können, wenn man sie auf die Figur anwendet.
Nur Fratzen, keine Gesichter
Liquide Formen sind auch für die vierteilige Skulpturengruppe „Fratelli“ (Brüder) prägend. Schütte arbeitet an ihnen von 2012 bis 2017. Es handelt sich um rot lackierte Alu-Büsten älterer Männer, ausgestattet mit Insignien von Ehre wie Hüten und Umhängen. Ihre Gesichter sind jedoch vollkommen entstellt. Es scheint so, als habe Schütte die Köpfe wie ein Kind mit der Faust in Plasteline geformt. Der rote Lack macht sie weich und billig. Die vier Ehrwürdigen haben keine Gesichter, sie haben Fratzen.
Im Zusammenhang mit einer Vorgängerarbeit, die Schütte 1992 auf der documenta 9 ausgestellt hatte, sagte er, es habe ihn gereizt, sich mit „ärgerlichen, fiesen alten Männern“ zu beschäftigen. „Sie sind nicht realistisch, aber es gibt sie wirklich. Ob als Kellner oder Nachbar, ich habe sie alle gesehen“.
Bis 8.4., Kunstverein Oldenburg
Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘ in Bremen
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