: Untergang in Kiel
Das Wettrüsten, der Umbau der Stadt, die Umweltzerstörung – die Kritischen Realisten inspirierte das zu moralisch-wuchtigen Bildern
Von Frank Keil
Ein bisschen tapfer muss man in der Ausstellung „Politische Malerei der 1970er und 1980er Jahre“ im Kieler Stadtmuseum sein. Denn es geht zurück in die Malerei-Welten der sogenannten Kritischen Realisten, die sich einst um die beiden Kieler Maler Harald Duwe und Peter Nagel gruppierten. Es ist ihr Umgang mit den großen Themen jener Jahre, die sie mit wuchtigen Bildern zu illustrieren suchten und der sie einte: das Wettrüsten, das unweigerlich zu einem nächsten Weltkrieg führen würde; die Konsum- und Wegwerfgesellschaft, mit entschiedenem Pathos attackiert und geradezu als Projektionsfläche genutzt, um die Verlorenheit des modernen Menschen zu illustrieren; schließlich noch die Umweltzerstörung, die kaum noch aufzuhalten sei.
Untergang und Apokalypse überall, drunter ging es kaum. Und es entstanden vornehmlich gemalte und dann gerahmte Werke, die einen heute in ihrer didaktisch ausgerichteten Ästhetik spontan an einen damals obligatorischen BAP-Song erinnern mögen: „Verdammt lang her!“
Zugleich erzählen die noch einmal ausgestellten Werke vom tiefen Künstlerwunsch jenseits politischer Bekenntnisse: Man wollte sich befreien von der Dominanz der rein abstrakten Kunst, die nach dem Ende der Nazi-Dikatur die westdeutsche Kunst bestimmte. Man wollte weg vom Einfluss scheinbar nüchterner Kunstströmungen wie der Minimal Art, der so seltsam aufgedrehten Pop-Art, wollte den oft als akademisch empfundenen Fragen nach Form und Struktur und Farbe nicht länger Antworten geben, sondern wollte zurückfinden zu einer allgemeinverständlichen Bildsprache, die ein Alphabet bieten könnte, die eigene Lebensumgebung, in der man sich aufhielt, ausführlich zu beschreiben.
Zugleich war und blieb man unbeeindruckt, von dem was sich ab den frühen 80ern in den Kunstmetropolen Berlin, Köln und Hamburg an Neuem tat, als dort die sogenannten Jungen Wilden ebenfalls die figürliche Malerei wiederentdeckten, doch diese eben frei von jeglichem Realismusanspruch hielten und vor allem auf eines setzten, das den Kieler Realisten völlig fremd bleiben würde: Ironie, Distanz und Schabernack.
Also hineingestürzt in die Kieler Realismuswelten – und da ziehen erst einmal immer wieder U-Boote vorbei, pflügen durch die Kieler Förde, eisengrau, halb unter und halb über Wasser. Versuch einer malerischen Reaktion auf die lange verschwiegene Rolle der Fördestadt als manifester Rüstungsort: Kiel seit 1865 Marinestandort, bald Reichskriegshafen, wurde schließlich nach dem Wiederaufbau unumstrittene und lange unhinterfragte Schmiede der Rüstungsindustrie – und ist es bis heute. Öfter ging es auch mit der Staffelei nach Laboe, zum Marineehrenmal, wo sich seit den 1950er-Jahren völlig unbehelligt die Marinekameradschaften trafen, um im Geiste noch einmal die Seeschlachten des Zweiten Weltkrieges zu schlagen, die sie diesmal gewannen.
Überhaupt waren die Kieler Realisten vor allem eines: ortsgebunden. Sie waren geradezu heimattreu, fanden in ihrer Stadt ein eigenes und für sie wohl angenehm begrenztes Orientierungs- und dann Themenfeld. Und Kiel dankte es ihnen: zum einen mit vehementer Ablehnung durch jene Bürger, die sich in der Wohlbehaglichkeit des endlich Erreichten gestört fühlten – bei gleichzeitiger Unterstützung durch die örtliche Kunstszene, etwa durch den damaligen Leiter der Kieler Kunsthalle, Jens-Christian Jensen, der Harald Duwe bereits 1974 eine damals viel beachtete Einzelausstellung ausrichtete. Später war zeitweise sogar ein Harald-Duwe-Kunstpreis im Gespräch.
Auch Kiel als Stadt, als Wohnfeld, gab immer wieder Stoff für die Leinwand, wobei es hier zu einer interessanten Wende kam, denn lange konnte das neue Bauen im kriegsgebeutelten Kiel auf solide Sympathiewerte setzen: „Die Olympiabauten 1972 sind noch richtig abgefeiert worden, aber dann wendet man sich sehr stark gegen die sogenannte Betonarchitektur, mit der man allein lebensfremdes Wohnen verbindet“, sagt Museumsleiterin Doris Tillmann, die mit der Kunsthistorikerin Katrin Seiler-Kroll die Ausstellung kuratiert hat.
Die Kieler Realisten jedenfalls ergriffen seinerzeit ihre Chance und übersetzten das Unbehagen gegenüber der Stadterneuerung in ihre Bilder. Paradebeispiel sind dabei die Werke von Karl Fettweis. Von ihm stammt ein besonders eindrückliches Bild, bei dem eine Art Hochhaus-Ungeheuer wie der Turm von Babylon die Stadt niederzuwalzen scheint. Und niemand schaut aus dem Fenster.
Was in der Kieler Ausstellung überhaupt bald auffällt: dem Menschen, dem – oder wie es anderen Ortes hieß – „handelnden Subjekt“ trauten die Kieler Realisten recht wenig zu, auch wenn man sich doch so für diesen zu engagieren vorgab. Denn die allermeisten Bilder sind schlicht menschenleer; bieten stattdessen apokalyptische Stadtlandschaften, bei dem kein Stein mehr auf dem anderen zu stehen scheint. Oder es begegnen einem bei Harald Duwe seltsam erschöpfte Endzeitmenschen, denen jede Widerständigkeit abhanden gekommen zu sein scheint, wie in seinem vielleicht bekanntesten Bild „Floß auf der Förde“ von 1981, angelehnt an Théodore Géricaults „Das Floß der Medusa“.
Interessant anders in ihrer atmosphärischen Erdung sind da die kleinen Gemälde von Gretel Riemann, die sich, an Nagel und Duwe geschult, der Dokumentation des Umbaus der Kieler Innenstadt gewidmet hat, der eben in den 1970er-Jahren einsetzte. Sie fand ganz eigene, fast rührende Straßenansichten, malte Straßenzüge wie Einzelhäuser im Moment des Umbruchs ohne anklagendes Pathos, und damit werden ihre Bildnisse des Wandels von einer fast zarten, aber eben gewinnenden Naivität getragen.
Riemann muss überhaupt eine spannende Person gewesen sein: Im Gegensatz zu Nagel und Duwe hat sie nicht Kunst studiert, sondern war zunächst Bauzeichnerin, die später privaten Malunterricht nahm. Und sie kam, so wird kolportiert, erst so richtig zum Malen, als ihr Mann, der sie von solchem Unsinn abhalten wollte, sich eine Jüngere nahm und seine nun Exfrau endlich ungestört zum Arbeiten fand. Ihr Nachlass liegt im Stadtmuseum, und es ist zu hoffen, dass man eines Tages die Muße findet, ihr Werk einmal vorzustellen.
Am Ende der Ausstellung gibt es ein schönes Rausschmeißerbild: „Demnächst“ von Duwe-Schüler Thomas Schulz aus dem Jahr 1983. Zu sehen ist ein heranwachsender Junge mit struppeligen Haaren, der vor einer fast feuerroten Wand aus Schnipseln von Kinoplaketen steht und der angemessen unfreundlich die Welt anschaut. Hier ändert sich der sonst so monochrome Blick auf die sogenannte Realität als ein Hort von Furcht und Bedrohung; hier wird gerade die sonst so eindeutig verdammte Unterhaltungsindustrie von Popmusik bis Kino als ein Pool an eben widerstreitenden und uneindeutigen Zuordnungen wahrgenommen, so wie anderen Ortes längst die jungen Menschen gegen die etablierten Oberlehrer und ihre Bildwelten aufbegehrten und die nächsten Pädagogengeneration mit viel Material zum Phänomen der „Jugendästhetik“ versorgten.
Was Thomas Schulz heute macht, ob er überhaupt noch malt und wenn was und wie, muss derzeit offengehalten werden. Die beiden Kuratorinnen haben zwar einiges unternommen, um ihn ausfindig zu machen – aber er blieb verschwunden.
Ausstellung „Politische Malerei der 1970er und 1980er Jahre“: bis 3. Juni, Stadtmuseum, Dänische Straße 19, Kiel
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