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Ein giftiger Gefühlsfahrer

Nach einem Vierteljahrhundert Flaute ist Thomas Dreßen die erste große Medaillenhoffnung der Ski-Abfahrer. Zwei Österreicher haben mit Geduld ein schlagkräftiges deutsches Team geformt. Die nächste Herausforderung wartet in Kitzbühel beim Hahnenkamm-Rennen

Von Thomas Becker

Schon unglaublich, was angehende Olympioniken so alles an den Kopf bekommen. Fragen, dass es einem die Zehennägel aufbiegt vor lauter Fremdscham. Die Szene: Einkleidung der deutschen Olympia-Mannschaft im Postpalast in München. Die Athleten schieben Einkaufswägen voller Klamotten vor sich her, alle paar Meter rumpeln die bekannteren Gesichter in Kameras, Mikros und Notizblöcke der Reporter, während eine Skisprung-Olympiasiegerin und der deutsche Meister im Langlauf unbehelligt bleiben.

Ein junger Mann in Jeans und T-Shirt wird dagegen auch ohne Germany-Aufdruck als interviewwürdig erachtet: Thomas Dreßen, die erste Medaillenhoffnung in den alpinen Speed-Disziplinen seit – puh, mal kurz überlegen – eigentlich seit Markus Wasmeier, und der fährt seit fast einem Vierteljahrhundert keine Rennen mehr. Dreßen also: 24 Jahre alt, 1,88 Meter groß, knappe hundert Kilo schwer. Anfang Dezember wurde er bei der Abfahrt in Bea­ver Creek Dritter: das erste Abfahrtspodium für den Deutschen Skiverband (DSV) seit 13 Jahren – wenn das kein Medaillenkandidat ist!

Und so steckt er nun in der Presse-Mangel und muss all diese Fragen über sich ergehen lassen. Eine junge Dame vom Radio muss sich zwar erst mal nach seinem Namen erkundigen, arbeitet dann aber konsequent ihren Standardfragebogen ab: Wie kriegen Sie die lange Zeit im Flieger nach Südkorea rum? Welche Musik hören Sie? Was spielen Sie auf der Playstation? Haben Sie Tipps, was man gegen Kälte tun kann? Dreßen hört sich das alles an, lächelt milde, ohne ungläubig die Stirn zu runzeln, und gibt brav Antwort: „Tipps gegen die Kälte? Bewegen! Das hilft immer. Und viel anziehen!“ So ist er, der Thomas Dreßen: bodenständig, unaufgeregt und ganz bei sich.

Dreßen, das nächste große Ding im alpinen Rennsport – der kommt gerade recht, jetzt wo sich Everybody’s Darling Felix Neureuther in die Kreuzband-Reha verabschiedet hat und womöglich nicht mehr allzu viele Wettkampfwinter in den maroden Knochen hat. Coole Typen, die den Sport über die blanke Leistung auf der Piste hinaus für die Zuschauer attraktiv machen, hat der DSV nämlich nicht allzu viele. Und das auch noch in der spektakulären Königsdiszi­plin Abfahrt: passt!

Endlich neue Geschichten

DSV-Alpin-Direktor Wolfgang Maier sagt: „Sicherlich ein sehr wertvoller Mann, weil durch ihn der Abfahrtssport in Deutschland wieder salonfähig gemacht worden ist.“ Und das nicht nur vor der Kitzbüheler Streif, sondern bei allen Weltcup-Abfahrten des Winters. Jahrelang mussten die Zuschauer auf die Startnummern 30 plus warten, bis ein DSV-Dress mit den schicken Rennstreifen zu sehen war – mittlerweile gehören neben Dreßen auch Andreas Sander und Josef Ferstl zu den Top 15. Letzterem gelang zuletzt gar ein Sieg im Super-G von Gröden – sein Vater wird aufatmen, musste er doch in den letzten 30 Jahren vor dem Hahnenkamm-Wochenende immer wieder erzählen, wie das war, als er 1978 und 1979 doch tatsächlich die Abfahrt auf der Streif gewonnen hatte, als bislang einziger Deutscher. Nun kann man auch mal die Jungen interviewen. Endlich.

Lange ist es noch nicht her, da gab es beim DSV ernsthafte Überlegungen, die Speed-Abteilung der Männer wegen chronischer Erfolglosigkeit zu schließen. Doch dann entschieden sich 2014 die österreichischen Trainer Mathias Berthold und Christian Schwaiger, beim DSV anzuheuern, der eine als Männer-Chef, der andere als deren Speed-Boss. In weniger als vier Jahren haben sie aus einem Häuflein Hoffnungsloser eine vielversprechende Truppe geformt, der man nun tatsächlich die eine oder andere Medaille zutrauen kann.

Das junge, unverbrauchte Gesicht dieser Mannschaft ist der unbekümmerte Herr Dreßen. Der weiß die Arbeit seiner Chefs zu schätzen: „Das war einfach mal ein anderer Input“, lobt er und erklärt mal eben den Aufschwung der Speed-Abteilung: „Wir haben immer konsequent und konzentriert gearbeitet, egal wie die Ergebnisse waren. Schritt für Schritt steigern, nicht von null auf hundert, das funktioniert im Speed nicht. Man muss Erfahrung sammeln, sich entwickeln, und diese Zeit haben wir bekommen.“ Wolfgang Maier sagt über seinen Schützling: „Er entwickelt sich extrem gut, ist ein sehr junger Abfahrer auf einem sehr, sehr guten Niveau. Wenn einer in Wengen beim zweiten Runterfahren Fünfter wird, in Beaver Creek aufs Podium fährt, ständig Leistungen zwischen fünf und zehn bringt, und das in dem Alter, dann muss derjenige gewisse Fähigkeiten und eine gewisse Klasse haben.

Florian Eckert (Abfahrts-Bronzemedaillengewinner 2001, Anm. d. Red.) war ähnlich außergewöhnlich talentiert. Die haben diese natürliche Fähigkeit mitbekommen. So wie dem Felix ein gewisses Gen für Slalom und Riesenslalom gegeben ist, so hat es der Dreßen für die langen Schwünge.“ Frank Wörndl, Slalom-Weltmeister 1987 und heute Ski-Experte beim Sender Eurosport, sieht das auch so: „Das ist ein Gefühls-Skifahrer, während der Andreas Sander ein Gelernter ist.“

Wohl wahr. Besagter Sander galt auch mal als Wunderkind. Kommt aus dem Ruhrpott und wurde dennoch Junioren-Weltmeister. Das war vor zehn Jahren. Dazwischen lagen lange und bittere Jahre mit vielen enttäuschenden Platzierungen, die erst seit Berthold & Schwaiger immer öfter einstellig wurden. Auf sein Team lässt Wolfi Maier auch in Sachen Thomas Dreßen nichts kommen: „Die gehen sehr vorsichtig mit ihm um, verheizen ihn nicht, lassen ihm immer noch ein bisschen Reserve, drücken ihn nicht ans Limit – obwohl man ja immer den kurzfristigen Erfolg will. Das macht das Team extrem gut, diese Behutsamkeit im Umgang mit dem Thomas. Aber er gibt ihnen das auch zurück. Er versteht den Abfahrtssport, ist sehr konsequent in der Besichtigung, was bei diesen hohen Schwierigkeiten sehr wichtig ist, holt sich Feedback zu seinen Sprüngen, ist bisher auch noch kein unnötiges Risiko eingegangen.

Passivität ist gefährlich

Anfang letzten Jahres war er noch ein bisschen gefährdet – da hat es ihn noch sehr oft irgendwo rausgeschmissen. Aber er ist immer professioneller, zielgerichteter geworden.“ Von Verletzungen blieb Dreßen auch nicht verschont. 2013 hatte es ihn so heftig aufgestellt, dass man beim DSV nicht sicher war, ob er sich davon wieder erholen würde. „Ab und zu ist es sehr giftig, wenn was passiert“, sagt Maier, „aber es ist gut, dass er gelernt hat, Respekt zu haben, dann geht er ein bisschen vorsichtiger mit sich um.“

Nachfrage beim Athleten: Kann man so ein Ungetüm wie die Streif überhaupt vorsichtig fahren? Im vergangenen Jahr hatte er das Ziel weder im Super G noch in der Abfahrt gesehen. Dreßen hat das nicht verunsichert: „Wenn man da passiv ran geht, wird’s noch gefährlicher, gerade für uns Abfahrer. Klar, Respekt gehört immer dazu. Wer keinen Respekt vor der Strecke hat, unterschätzt die Strecke, und dann passiert schnell was, weil man unkonzentriert wird. Ich gehe die Streif ganz normal an, wie jedes andere Rennen auch. Wenn's gut geht, geht’s gut, wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter.“

Klingt wie eine Binse, ist aber womöglich das Geheimnis seines Erfolges. Wie es sich anfühlt, wenn die Welt untergeht, das weiß Thomas Dreßen seit dem Herbst 2005. Als ein Hubschrauber über einer Seilbahn einen 750 Kilo schweren Betonbehälter verliert, sterben neun Menschen, darunter sein 43-jähriger Vater Dirk. Auf Dreßens Helm prangt links und rechts die Nummer 44, die Ziffern stehen für den vierten Buchstaben im Alphabet: Dirk Dreßen. „Mein Vater und ich waren Formel-1-Fans, und darum habe ich mir gedacht, dass eine Nummer am Helm cool ist. Mir ist wichtig, dass an ihn erinnert wird, er dabei ist. Ich weiß, wie schnell etwas passieren kann und dass man manches nicht in der Hand hat. Läuft es schlecht, denke ich nicht lange darüber nach. Damit macht man sich kaputt.“

Und so plaudert er herrlich unbekümmert über dies und das: Nordkoreas Atomraketen? „Über Politik mache ich mir keinen Kopf. Das sollen die Chefitäten machen. Wenn die uns da rüber fliegen lassen, dann gibt’s da auch keine Probleme.“ Seine erste Olympia-Erinnerung? „Hermann Maiers Crash in Nagano. Aber ich muss nicht unbedingt im Zaun landen. Ich will auch nicht wie irgendwer sein. Wichtig ist, eine eigene Persönlichkeit zu haben.“ Bleibt nur noch anzufügen, dass er es rockig mag („AC/DC oder so was“), auf der PS gern NFL dattelt und hofft, dass im Flieger nach Pyeongchang „schön viele Filme laufen – dann geht die Zeit schon rum“. Und seine Zeit, die dürfte erst noch kommen.

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