taz sachen: Die Kolumnen-Wundertüte
Jeden Dienstagmittag trifft in der Meinungsredaktion die „Schlagloch“-Kolumne ein. Und alle sechs Wochen ist mit einer Irritation zu rechnen. Dann ist Georg Seeßlen dran. Seeßlen, langjähriger taz-Kolumnist, ist berechenbar in seiner Unberechenbarkeit: Wird er wieder Textmassen schicken, die jeden vernünftigen Zeitungsmaßes spotten? Wird er die Weihnachtsgeschichte neu erzählen, die Linke für ihren Klassendünkel abwatschen oder die Abschaffung Bayerns fordern? Ein Seeßlen ist immer eine Wundertüte: man weiß nie, was man kriegt. Nur wachsam sollte man sein.
Es war im November, als der betreuenden Redakteurin die Gesichtszüge entgleisten. Sie las: „In der Massentierhaltung bilden Futtermittel immer wieder ein gesundheitliches Ärgernis. Nahrung aus recycelten Unterschichts- und Fremdlingskindern wird da Abhilfe schaffen.“ Recycelte Kinder – hatte Seeßlen den Verstand verloren?! Leider war der Mann nicht zu erreichen. Was tun? Da fiel der Redakteurin auf, dass Seeßlens Text mit „Ein bescheidener Vorschlag“ überschrieben war. Genau wie eine berühmte Satire von Jonathan Swift, der den Iren empfahl, zur Lösung ihrer Hungerkrise ihre Kinder zu verfüttern. Mit etwas historischer Einordnung ließ sich der Text dann retten. Stunden später meldet sich ein entspannter Seeßlen: Er sei gerade bei der Olivenernte, war was?
Nein, alles wunderbar. Wie eigentlich immer. Georg Seeßlen, der auch für die Zeit und den Tagesspiegel schreibt, hat den Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik bekommen. Wir gratulieren von Herzen! Nina Apin
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