dvdesk: Ein starker spitzer Nagel, von hinten ins Hirn
Alle Gothic-Horror-Topoi sind schon da: ein Friedhof, eine Ruine, ein schwarzer Mann, eine Klasse, die einen Jungen im Schulschrank verkehrt herum aufhängt, eine Katze, die böse verendet; auch die Mutter stirbt bald, der Großmutter im Rollstuhl ist nicht zu trauen. Der Vater fährt zur See und ward nimmer gesehen. An seine Stelle tritt in gewisser Weise Herr Van Rees (Károly Eperjes) als neuer Lehrer, Sohn des Pastors, eines auch sexuell mehr als bedrohlichen Vaters. Herr von Rees trägt Schnurrbart, hat Pomade im Haar und Sinistres im Sinn.
Das Zentrum des Ganzen, kein Opfer, sondern zunehmend aktivierte Beobachterin, die von schaurigen Morden, die dann wirklich geschehen, im vorhinein träumt: das Mädchen Laurin (Dóra Szinétar), sehr große Augen, sie ist neun oder zehn.
Laurin und ihr Muttersöhnchenfreund Stefan – der Junge im Schulschrank – setzen sich auf die Spur des finsteren Mannes, der, wie sich dann zeigt, auf kleine Jungs steht. Im dunklen Kleid der Mutter steht Laurin am Ende des Films oben an der zum Speicher führenden Treppe, versetzt Herrn von Rees in Angst und Schrecken. Der starke spitze Nagel, der schon zuvor nachdrücklich ins Bild gesetzt wurde, tut, was ein solch starker spitzer Nagel in solchen Szenarien tut. Nicht durchs Herz geht es mit ihm, sondern von hinten ins Hirn: Von Rees ist eine Art verschobener Vampir. Aber die Angst vor dem Begehren, die durch Vampirgeschichten in verschobener Überdeutlichkeit zirkuliert, sie zirkuliert sehr deutlich auch hier. Aus den Augen des Toten läuft Blut.
Der Schauplatz: gothic Dunkeldeutschland, eine Kleinstadt mit Hafen, 19. Jahrhundert. Der Ort, die Geschichte und ihr Erfinder sind alle von Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ inspiriert, aber auch vom italienischen Genrekino von Mario Bava über Lucio Fulci bis Dario Argento. Auf dergleichen will „Laurin“ sichtlich hinaus.
Recht roh sind die Übergänge zwischen Träumen und Wachen, zwischen Realität, Erinnerung und Vision, es stürmt und ist dunkel, die Musik von Hans Jansen und Jacques Zwart tut ihre sehr effektiven billigen Synthesizerklänge und die Kamera von Nyika Jancsó ihre schleichenden Fahrten, ihre Close-ups und ihre Anäherungen an Gesichter und Puppen und Dinge und Fotos dazu.
Das Ungewöhnlichste an „Laurin“ ist, dass es diesen Film überhaupt gibt. Er ist ein in der deutschen Filmgeschichte seiner Zeit recht singuläres Projekt. Das Kino-Deutschland der achtziger Jahre war reich an meist eher armseligen Komödien, an genrebewussten Rückbezügen auf das Weimarer Kino oder auch auf als eher schmuddelig geltende italienische Ware gab es wenig Interesse.
Robert Sigl, Regisseur und Drehbuchautor, war gerade fertig mit dem Studium an der Filmhochschule in München. Genau diese Sorte Filme wollt er drehen. Und es gelang ihm tatsächlich, genug Geld aufzutreiben, um einen vergleichsweise günstigen Dreh in Ungarn zu finanzieren. Die DarstellerInnen sind entsprechend alle synchronisiert. Nicht ungewöhnlich in der Geschichte der europäischen Genre-Koproduktionen; man kann sogar sagen, dass das immer wieder sichtbare Auseinanderfallen von Stimme, Wort, Mundbewegung der fiebrigen Atmosphäre eher zuträglich ist.
Sigl erhielt für „Laurin“ den Bayerischen Filmpreis für die beste Regie bei einem Debüt. Es hat nicht viel geholfen. Ihm ist vor allem der Rückzug aufs Handwerk geblieben, „Tatort“, „Soko Donau“, „Aktenzeichen XY“. Das auf Funde dieser Art spezialisierte Bildstörung-Label hat „Laurin“ nun ausgegraben. Vielleicht hilft die größere Sichtbarkeit dem Regisseur bei der Realisierung ambitionierterer Projekte, die er durchaus noch hat.
Ekkehard Knörer
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