DIE STIMMEN DER ANDEREN :
■ Lidove noviny (Tschechien)
Warten auf Würde
Die Bedeutsamkeit des [Berliner] Denkmals, auf das man zwei Jahrzehnte warten musste, wurde durch die Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Einweihung unterstrichen. Mit dem gestrigen Tag endete auch das Jahrzehnte währende Streben der deutschen Sinti und Roma, dass die Scham über den Roma-Holocaust ebenso Bestandteil des nationalen Bewusstseins wird wie die Scham über die Ermordung der europäischen Juden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, erinnerte daran, dass es in der Bundesrepublik auch heute noch große Vorurteile und Gehässigkeit gegenüber den Roma gebe. Deutschland erlebe eine neue Welle des Anti-Roma-Rassismus. Der richte sich nicht nur gegen die Minderheit, sondern im Grunde gegen die demokratischen Werte an sich.
■ Público (Portugal)
Warme Worte helfen nicht
In Zeiten, in denen die Armut wegen der Krise immer größer wird, wurde der ärmsten aller europäischen Minderheiten gestern historische Gerechtigkeit zuteil. […] Von den Nazis zur Zwangsarbeit geschickt, zur Sterilisation gezwungen und zur Vernichtung in den Todeslagern verdammt (mindestens eine halbe Million wurde getötet), wurden sie anschließend lange Zeit vergessen. Und jetzt, da ihrer offiziell gedacht wird, sind sie noch immer Opfer von Diskriminierung und Rassismus, wie im heutigen Europa überall zu sehen ist. Deswegen sagte Merkel, das ehrende Gedenken beinhalte auch das Versprechen, Minderheiten zu schützen. […] Nur folgt die europäische Praxis diesen Worten nicht. Wird hier nur wieder etwas aufgetischt, um das Gewissen zu beruhigen?
■ Junge Welt (Berlin)
Unerwünschte Gruppe
Sinti und Roma, die von den Nazis ermordet wurden, bekamen jetzt ein Mahnmal. Sinti und Roma, die von den Nazis nicht erwischt wurden, bekommen einen Fußtritt. Die Heuchelei des Gedenkens springt ins Auge, wenn man sich ansieht, wie dieser Tage antiziganistische Ressentiments geschürt werden. Einige jener Politiker, die gestern noch mit Trauermiene einträchtig um das Mahnmal herumstanden, fahren heute damit fort, Sinti und Roma zu latenten Kriminellen zu erklären. […] In der Tatsache, dass Roma in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden, sehen sie keinen legitimen Fluchtgrund. Sie sehen auch keine Verantwortung, zum Abbau der Diskriminierung beizutragen, im Gegenteil: Sie schüren diese noch, indem sie die serbische und mazedonische Regierung unter Druck setzen, „ihre“ Roma an der Ausreise zu hindern. […] Der Mainstream in der deutschen Politik – womöglich auch in der deutschen Bevölkerung – erklärt Sinti und Roma zu einer in „Kerneuropa“ unerwünschten Bevölkerungsgruppe. […] Die Instrumentalisierbarkeit des Gedenkens macht nicht das Gedenken überflüssig. Es verdeutlicht nur, daß dessen wahrer Wert sich nicht in Feierstunden zeigt, sondern im konkreten Handeln. Das bleibt eine Herausforderung für Antirassisten.
■ Dagens Nyheter (Schweden)
Vom Denkmal zur Visumspflicht
Es mag zynisch erscheinen, Hindernisse zu schaffen, damit etwa Roma schwerer Asyl beantragen können. Doch die gegenwärtige Situation, dass Tausende Menschen Asyl suchen und letztlich wieder heimgeschickt werden, ist unhaltbar. Eine kurzfristige Lösung wäre eine zeitweise Änderung der Asylgesetze. Das jetzige System kommt mit den Flüchtlingsströmen aus den Kriegsherden und dem Ansturm aus dem westlichen Balkan nicht zurecht. […] Eine andere Frage ist die der EU-weiten Solidarität. Es ist unangemessen, dass Nordeuropa den Flüchtlingsstrom des gesamten Kontinents aufnehmen soll. […] Ein Visumzwang würde das Scheitern für ganz Europa bedeuten.
■ Allgemeine Zeitung Mainz (Rheinhessen)
An die Wurzel
Wer ein Übel nicht an der Wurzel packt, wird es dauerhaft nicht beseitigen können. Stattdessen aber die Leidtragenden des Übels sich selbst zu überlassen, ist schlicht inakzeptabel. Und deshalb wird es hohe Zeit, dass die EU Serbien und Mazedonien kräftig auf die Finger klopft. Denn es sind die Lebensbedingungen dort, die viele Hundert Sinti und Roma in der EU um Asyl bitten lassen. (Quellen: eurotopics, dpa)