Filme wie Träume

Ob sexuelle Erweckungsgeschichten oder politische Parabeln, die Filme der Regisseurin Pascale Ferran atmen eine große Experimentierlust

Kein Traum ist das, sondern wirklich. Im Film „Bird People“ verwandelt sich Audrey in einen Spatz Foto: Carole Bethuel

Von Ekkehard Knörer

Flughafenhotels sind nah am Abflug gebaut: Auch das Hilton bei Paris-Charles-de-Gaulle, Schauplatz von Pascale Ferrans jüngstem Film „Bird People“ von 2014. Er erzählt aber von einem Mann, Gary Newman (Josh Charles), der gerade nicht abfliegt nach Dubai, obwohl er unbedingt sollte. Er stellt damit sein bisheriges Leben auf den Kopf: Job, Frau, Heimat gibt er auf. Und von einer Frau erzählt der Film, Audrey (Anais Demoustier), die sich für eine halbe Stunde Filmzeit in einen Spatz verwandelt. Eigentlich ist sie Studentin mit einem Job als Zimmermädchen im Hilton. Dann fällt der Strom aus, sie geht aufs Dach, fällt in eine Art Ohnmacht und flattert verwandelt durch Fluren und Zimmer und hinaus Richtung Flugfeld, Lichter der Nacht, Start- und Landebahnen unter sich, lauscht, pickt Krümel auf, wird zum Objekt eines Künstlers und misst sich, vermessen, mit startenden Riesenmaschinen.

Kein Traum ist das, sondern wirklich, im Film. „Bird People“ hat eine souverän über alle möglichen Bedenken hinwegfliegende Lust am Erzählen. Von Person zu Person springt, wie ein Spatz, zu Beginn die Beobachtungsperspektive im Zug, der zum Flughafen fährt: Man hört Gedanken, hört, was die Fahrgäste mit ihren Kopfhörern hören, man lauscht, kurz, kommt erst der einen, dann einem anderen nahe: Um jede dieser Figuren könnte es gehen. Später wird eine Erzählerstimme aus dem Nichts die Handlungen des Protagonisten kommentieren. Diese Stimme, diese auktoriale Perspektive, taucht auf, dann verschwindet sie wieder.

Solche Sachen erlaubt sich Ferran, souveräne Gesten des „Ich kann, wenn ich will“. Auch in „Lady Chatterley“ (2006), dem Film, der ihr viele Césars bescherte und mit dem sie auf der internationalen Festivalszene Aufmerksamkeit erregte. Auch hier gibt es eine solche Erzählerstimme. Zweimal tritt sie aus dem Hintergrund. In diesem Fall ist sie weiblich. Eine eindeutige Geste, wie der ganze Film, der aus der Romanvorlage von D. H. Lawrence nur die Elemente nimmt, die zur Geschichte passen, die Ferran erzählen will. Bewusst farblos bleibt Clifford (Hippolyte Girardot), der Mann, der impotent aus dem Ersten Weltkrieg zurückkommt. Ganz zurückgedrängt ist das endlose und immer zu plumpe Herumphilosophieren über Männer und Frauen, über Körper und Geist, das die Prosa von Lawrence so nervtötend macht. Es wird nicht sehr viel gesprochen.

Stattdessen: eine zarte wie explizite sexuelle Erweckungsgeschichte, die zwar aus der Perspektive von Constanze (Martina Hinds) erzählt ist, dem Wildhüter Parkin (Jean-Louis Coulloc’h) aber ein ganz gleichrangiges Begehren gewährt. Die beiden entdecken einander, ihre Körper und die Lust, die der Körper des einen dem andern bereitet, auf dem Boden der Hütte, aber auch im Regen im Freien. Vorsichtig erst und noch züchtig ziemlich bekleidet, dann nackt und im Genuss dieser Nacktheit durch Hände und Blicke. „Lady Chatterley“ ist ein Naturfilm, in dem es blüht und rauscht und auch die Musik schwelgt. Dass das nicht romantischer Kitsch ist, sondern sachlich und leicht bleibt, hat mit Ferrans freiem Umgang mit den filmischen Mitteln zu tun.

Ganz zurück- gedrängt ist das endlose Herum-philosophieren

Schmal, sehr schmal ist Ferrans Werk. Neben ein paar Drehbüchern für andere gibt es bislang nur vier lange Spielfilme, der zweite, „L’age des possibles“ noch dazu eher eine fürs Fernsehen gedrehte Fingerübung mit Schauspielstudenten. Kaum bekannt, aber hinreißend das Debüt „Petits arrangements avec les morts“ von 1994. Der Titel verspricht nicht zu viel: Scheinbar leicht, aber experimentierfreudig, wird aus dem Leben von Menschen erzählt, die mit dem Tod leben müssen: ein Junge, dessen bester Freund stirbt; vier Geschwister, die eine Schwester verloren.

Ferran macht daraus ein Triptychon in heiterer Strandszenerie. Traumatisiert sind Mensch und Film, zerrissen, in rabiaten Rückblenden von der Vergangenheit eingeholt, erratisch in ihrem Verhalten. Nie weiß man, was kommt. Aber auch hier: eine große Lust am Erzählen, die sich souverän und auf ernsthafte Weise verspielt die Freiheiten nimmt, die sie braucht.

Werkschau Pascale Ferran: Arsenal Kino, 3. – 11. 11., www.arsenal-berlin.de