: Ganz schön viel Vielfalt zu sehen
FOTOGRAFIE Das gleiche Thema, ein anderes Berlin: 30 Jahre nach der ersten Schau zeigt die Fotogalerie Friedrichshain mit „Ein Tag in Berlin“ Bilder der gegenwärtigen Stadt
von Linda Gerner
Berlin, das sind Selfies vorm Brandenburger Tor und das ist das Holocaust-Mahnmal. Das sind Pfandflaschenberge nach der Feier am 1. Mai im Görlitzer Park und Bingorunden in Kreuzberger Kneipen. Auch alternative Wohnformen und leer stehende Bürogebäude prägen das Stadtbild. Es ist hässlich und schön. Gentrifiziert und verschuldet. Protagonisten sind Straßenmusiker und Künstler, Anzugträger und im Regen Tanzende.
Berlin ist die Stadt der Vielfalt. Diesen Satz hört man in Gesprächen über die Hauptstadt häufig und mokiert sich darüber – bis man selbst die ersten Besucher durch die Stadt führt und vom vielfältigen Berlin schwärmt. Das Berlingefühl wird aktuell von 50 Fotografen auf rund 100 Fotos in der Fotogalerie Friedrichshain festgehalten. Es sind Bilder der Stadt aus den letzten drei Jahren – doch das Berlin von vor 30 Jahren soll mitgedacht werden.
Fast könnte man ihn übersehen, den unauffällig platzierten Rahmen mit den sechs Bildern am Eingang der Galerie. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen eine Menschenmenge bei der Warschauer Brücke und Fotografen in Aktion. Im geteilten Berlin wird 1987 das ganze Jahr über gefeiert. Das 750-jährige Stadtjubiläum entfacht zwischen Ost und West nicht nur einen Wettkampf von Sanierungsmaßnahmen. Ronald Reagan fordert vor dem Brandenburger Tor: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall.“ Die DDR scheut keine Kosten, um mit einem großen Festzug den Sozialismus zu feiern. In der Fotogalerie Friedrichshain gibt es im Sommer 1987 die Ausstellung „Ein Tag in Berlin – 17 Fotografen sehen unsere Stadt“, darunter auch Koryphäen wie Sibylle Bergemann und Harald Hauswald. Zwei Jahre später fällt die Mauer, und das Stadtbild verändert sich rasant.
Vor einem Jahr hätten sie Bilder von dem großen Andrang auf die damalige Ausstellung im Archiv gefunden, sagt Galerieleiter Felix Hawran. Eine Gegenüberstellung „damals/heute“ sei nicht möglich gewesen, die alten Fotos fehlten.
Stattdessen startete die Galerie einen offenen Aufruf an Fotografen: Was sind Themen des gegenwärtigen Berlin? Anhand von 2.000 eingereichten Fotos wurden 50 Fotografen ausgewählt. Darunter auch Bernhard Klöppel und Harald Hauswald, die bereits bei der Schau 1987 Bilder präsentierten.
Dass die ausgestellten Fotos von 50 unterschiedlichen Fotografen stammen, sieht man. Auf eine U-Bahn-Szenerie folgt Primark-Shopping, der Schwarze Block auf Demonstrationen am 1. Mai hängt neben einem Foto vom Häuserkampf in der Rigaer Straße, das Urban Gardening auf dem Tempelhofer Feld illustriert ein friedliches Berlin.
Nur selten sind die Kompositionen in der Galerie zu offensichtlich. So werden etwa einträchtig in Schwarz-Weiß gehaltene Fotos vom buddhistischen Tempel, einer Synagoge und einer Moschee aneinandergereiht.
An dem Sommerabend bei der Vernissage am Donnerstag bringen die Fotos eine gemischte Gruppe von Berlinern in und vor der Galerie zusammen. Es wird diskutiert, ein internationales Stimmengewirr füllt die Straße. Ein Paar versucht sich an einem Selfie vor der Menschenmenge. Als es nicht direkt klappt, kommen sich die beiden albern vor. Fotografen halten auch diesen Moment mit ihrer Kamera fest.
„Ein Tag in Berlin 2017 – 30 Jahre danach“: Fotogalerie Friedrichshain, Di.–Sa. 14–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen
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