piwik no script img

BerlinmusikViele Töne, wenige Töne

Manchmal sind zwei Alben so angelegt, dass sie sich wie die Hälften eines Diptychons ergänzen. Das gilt allemal für die beiden jüngsten Veröffentlichungen des Labels Immediata, „Music in Eight Octaves“ eines Duos mit dem knappen Namen 176 und „The Slow Creep of Conve­nience“ von Anthony Pateras und Erkki Veltheim. Immediata betreibt der australische Komponist und Pianist Anthony Pateras von Berlin aus, selbst wenn sein Wohnort offiziell Melbourne ist. Man kann ihn aber oft genug hier erleben, um ihn einmal vorübergehend als Berliner Musiker zu vereinnahmen.

So hat sich Pateras für „Music in Eight Octaves“ unter dem Namen 176 mit seinem Landsmann Chris Abrahams, auch er ein häufiger Gast in Berlin, zusammengetan, um die acht Oktaven des Klaviers so klingen zu lassen, als habe man den US-amerikanischen Player Piano-Innovator Conlon Nancarrow auf das Instrument losgelassen. Rasend schnell, wie von einer mechanischen Vorrichtung, wird das Tonspektrum des Klaviers bearbeitet, auch für vier Hände gleichzeitig eigentlich eine Überforderung.

Daher bedient sich Pateras für die 50 Minuten geballter Tastenanschläge eines kleinen Tricks und nahm nacheinander vier Spuren auf, um die gewünschten Oktavschichtungen zu erzielen. Eine atemlose Raserei, es donnert, hastet und klingelt unentwegt, das alles mit einer solchen Spannung, dass man sich beim Hören fast festhalten muss, um nicht in den Strudel dieses Kolosses zu geraten. Dass die Aufnahme schon von 2005 ist, merkt man ihr nicht an. So schnell wird Gutes eben nicht schlecht.

Den extremen Gegenentwurf bietet Pateras dann, wieder mit einem Landsmann, auf „The Slow Creep of Conve­nience“. Diesmal sitzt Pateras an der Orgel, begleitet von Erkki Veltheim an der Geige. Als Violinstück mit Orgelcontinuo darf man sich die ebenfalls 50-minütige Zusammenarbeit jedoch nicht vorstellen. Denn es fällt ziemlich schwer, die einzelnen Beiträge überhaupt voneinander zu unterscheiden. Vielmehr scheint die Luft zu stehen, obwohl sie genauso wie bei 176 in Dauerschwingung versetzt wird, diesmal bloß mit sehr lange liegenden Tönen. Dass sich langsam etwas ändert, merkt man irgendwie erst hinterher. Die Frequenzen beginnen sich zu überlagern, gegeneinander zu reiben, immer mehr Obertöne hervorzubringen. Am besten hört man die Platten in dieser Reihenfolge. Tim Caspar Boehme

176: „Music in Eight Octaves“

Anthony Pateras, Erkki Veltheim: „The Slow Creep of Convenience“ (beide Immediata)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen