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Kleinstadtpunks

Im oberfränkischen Coburg bilden Punks die dominierende Subkultur. Mit cleverer Bündnispolitik hat der Verein Kill Me Baby die kleinstädtische Protestkultur für sich monopolisiert. Auf „anti“ gebürsteten Jugendlichen bleibt gar nichts übrig, als sich die alten Gesten der Punkrebellion anzueignen

Punk bedeutet nicht Hass auf Staat und Gesellschaft, sondern einfach gute MusikPolitisch sprechen sich die meisten Jungen und Mädchen für die SPD aus

VON MARTIN DROSCHKE

Wenn mittags die Schulen der oberfränkischen Kreisstadt Coburg ihre Zöglinge ausspucken, zeichnen die Bushaltestellen ein repräsentatives Bild der Jugendkulturen, die den Lebensstil der über 13-Jährigen prägen. Es verwundert sofort, wie viele von ihnen sich optisch als Punks präsentieren. Die wenigen Skinheads, die sich unter die Grüppchen Bunthaariger mischen, lassen sich dank ihrer „Gegen Nazis“-Aufnäher und der fehlenden Antifa-Embleme schnell der unpolitischen Oi!-Szene zurechnen. Anhänger der Neuen Rechten scheint es trotz einer großen Präsenz von entsprechenden Organisationsplattformen im näheren Umkreis nicht zu geben.

Der Grund liegt nicht etwas am Desinteresse von NPD und rechten Skinheadbünden, in der einst ersten von der NSDAP regierten Stadt Nachwuchs zu rekrutieren – sondern in der bewusst zweigleisigen Politik von Stadt und Jugendamt, die 2001 entstandene Initiative Kill Me Baby, eine Konzertveranstaltergruppe der Punks, unter der Bedingung zu unterstützen, dass sich die Szene als Gegenleistung kontrollieren und disziplinieren lässt. Der Schulterschluss von Establishment und Gegenkultur ist das Ergebnis eines langen Lernprozesses, an dessen Ende beide Seiten mutig über den eigenen Schatten gesprungen sind.

Irokesenschnitt und Null-Bock-Codes gehören in der ehemaligen Grenzstadt zur DDR zum Straßenbild, seit der Punk vor 25 Jahren von England aus in die BRD geschwappt ist. Damals hatte man das Mahnmal des Wettrüstens, die deutsch-deutsche Grenze, direkt vor Augen. Zudem bot das bayerische Zonenrandgebiet seinen Jugendlichen keine wirtschaftliche Perspektive, sodass die Parole „No future“ gleich zweifach auf fruchtbaren Boden fiel.

Der Coburger Convent, durch den konservative Burschenschaftler jedes Pfingsten gut zehn Prozent der Bevölkerung stellen, sorgte dafür, dass sich in den Achtzigern politische Begleiterscheinungen des ursprünglich antiideologischen Punk wie antifaschistische Konfrontation und illegale Aktion institutionalisierten und ritualisierten. Mittlerweile nährt der Mangel an Ausbildungsplätzen und der Zwang, für ein Studium die Heimat verlassen zu müssen, das Gefühl, in einer von München im Stich gelassenen Region aufzuwachsen.

Als sich die bundesweite Punkszene gegen Ende der Neunziger in ihren Hochburgen mit den Chaostagen gegen den repressive Kurs der Kommunen und Länder zur Wehr setzte, stieg auch in der Provinz die Gewaltbereitschaft. In Coburg kam es 1997 vor dem Jugendzentrum Domino, dem damals wie heute einzigen Veranstaltungsort mit einer für überregionale Engagements nötigen Größe und Infrastruktur, bei einem Konzert der Band Rawside zu einer schweren Straßenschlacht mit Besuchern eines Handballspiels und einem herbeigeeilten Sonderkommando der Polizei. Es folgte das Verbot von Deutschpunk-Konzerten durch Stadt und Träger und damit die Zerschlagung der organisierten Szene, die mit dem Domino ihr Zentrum, freilich aber nicht ihren Einfluss auf ihre Altersgruppe verlor.

Eine Welle der Gründung neuer lokaler Punkbands veranlasste 2001 einen Sozialpädagogen des Domino, über eine Wiederaufnahme des Konzertbetriebs unter der Regie von Kill Me Baby zu verhandeln, einem Zusammenschluss von Freizeitmusikern der neuen Generation. Für die Möglichkeit, Konzerte organisieren zu können, zeigten sich die Teenager bereit, strenge Auflagen zu akzeptieren: begrenztes Veranstaltungskontingent, starre Regeln bezüglich Ordnung und Sicherheit, Einlass für Jugendliche unter 16 nur in Begleitung Erwachsener, null Toleranz von Drogen und Verstößen gegen die Vereinbarungen.

Im Gegenzug übernahm der Trägerverein des Domino eine Ausfallbürgschaft für die wirtschaftlich unabhängig agierende Gruppe. Die Konzerte werden professionell gemanagt. Wer den Eintritt nicht bezahlen kann, muss draußen bleiben. Wer sich sein Getränk mitbringt, wird rigoros vor die Tür gesetzt. Wer sich nicht an die Regeln von Kill Me Baby hält, verliert die einzige Heimat, die Coburg einem Jugendlichen zu bieten hat, der sich nicht mehr an Regeln gebunden sieht.

Herbst 2004. Ein Konzert, das signifikant ist für die Besonderheiten der Coburger Subkultur. Normahl, dienstälteste deutsche Punkband, kommt auf ihrer Tour, die auffällig wenige große Städte bedient, dafür kreuz und quer durch die hintersten Provinzen der BRD führt, ins Domino. Rund 400 Fans, von denen die meisten in den Vororten zu Hause sind oder aus der zweiten nordbayerischen Punkhochburg Kronach anreisen, vereinen sich zu einer subversiven Gemeinde. Normahl bietet die Kopie eines ihrer Konzerte von vor zehn Jahren – und spielt mit diesem Programm gleichzeitig haufenweise aktuelle Hymnen der vorwiegend 14- bis 22-jährigen Besucher. „Bei der Demo hau’n sie dir eins drauf / Ich steige auf die Barrikaden / Ich werf’ einen Stein in den Bullenwagen / Bis aus dem nur blutige Köpfe ragen“, skandiert Sänger Lars Besa. Jedes Lied wird laut mitgegrölt. In allen Strophen. Band und Publikum verschmelzen in dröhnender Harmonie.

Und doch scheint ein tiefer Graben die Generationen zu trennen. Wenn Normahl die legendäre Parole „Haut die Bullen platt wie Stullen“ schmettert, wird das als Code rezipiert, der Tradition und Zugehörigkeit generiert, aber inhaltlich so wenig zu bedeuten hat wie das allgegenwärtige Konterfei Che Guevaras.

Für die 16- bis 25-jährigen Mitglieder von Kill Me Baby bedeutet Punk nicht Randale, Provokation und Hass auf Staat und Gesellschaft, sondern einfach nur gute Musik. Politisch sprechen sich die Jungen und Mädchen unisono für die SPD aus, die PDS halten sie für ebenso inakzeptabel wie die CDU/CSU, die Grünen für keine echte Alternative. Der Vorstand des Jugendzentrums Domino bezeichnet seine Punks als die ihm liebste Gruppierung im Haus. Denn sie ist zugleich „die bravste“. Und sie ist zugleich die Gruppe mit der größten Motivation, die gefühlte Perspektivlosigkeit der Jugend durch Eigeninitiative zu durchbrechen. Zwei Firmen hat das ehrenamtliche Organisatorenteam mittlerweile gegründet: eine Security, die frankenweit auf Konzerten für Sicherheit sorgt; und einen Vertrieb für Merchandisingartikel, der zu einer Künstleragentur ausgebaut wird.

Die derzeit 16 Mitglieder halten seither den einzigen Saal besetzt, der groß genug für mehr als 200 Besucher ist, die nötige Technik und Ausstattung bietet und keine Miete kostet – und haben ihr Revier zudem auf einige der wenigen konzerttauglichen Kneipen der Stadt ausgedehnt. Dementsprechend wird auf rund zwei Dritteln aller Popkonzerte in Coburg Punk und Artverwandtes gegeben. Die Präsenz der Punkszene ist so groß, dass sie ein Monopol auf die Artikulation radikalisierter Kritik am Habitus der Elterngeneration besitzt. Für Altersgenossen, die den Ausstieg aus dem Mainstream suchen, gibt es keine andere als die von Kill Me Baby koordinierte Alternative. Wie automatisch ventilieren die Jugendlichen ihren Unwillen, sich anzupassen, mit dem 25 Jahre alten Gesten des Punk. Wie automatisch übernehmen die Jüngsten das „Gegen Nazis!“ der Älteren als kleinsten gemeinsamen – und einzigen – politischen Nenner.

Eine Minderheitenfraktion innerhalb von Kill Me Baby holt zudem all jene ab, die mit Skinheadästhetik liebäugeln. Fünf Mitglieder der Gruppe definieren sich als Oi!, als apolitische Skinheads. In ihren Augen sind die rechten Glatzköpfe Verräter einer vor 40 Jahren in der britischen Arbeiterklasse geborenen Protestkultur, deren Lebensgefühl auf Antihierarchie basiert. Auf etwa jedem zweiten Konzert steht deshalb auch eine Oi!-Band auf der Bühne.

Einziger Wermutstropfen: Traditionell rekrutiert sich die Punkszene aus der gehobenen deutschstämmigen Mittelschicht. Nebenwirkung des Monopols von Kill Me Baby ist eine verschärfte Ghettoisierung von auf „anti“ eingestimmten Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus schwächeren sozialen Verhältnissen. Diesen gelingt es traditionell nicht, sich mit Punk und Co zu identifizieren. Hiphop und Rap scheinen seit einigen Jahren in Coburg nicht mehr zu existieren.

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