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Bedingungslos-naiver Technikglaube
betr.: „Verkehr: Smarte Mobilität“, taz vom 17. 5. 17
Es hat mich doch sehr überrascht, ausgerechnet in der taz ein solches Zeugnis von bedingungslos-naiver Technik- und Fortschrittsgläubigkeit zu lesen. Bei Licht betrachtet und im Betriebswirtschaftlerdeutsch formuliert, ist das Anbieten von Assistenzsystemen in Neuwagen nichts anderes als das „Erschließen latenter Marktnischen“ – um noch mehr sinnlosen Konsum zu generieren: Man schafft den Anreiz zum Kauf neuer Produkte, indem man Antworten auf Fragen in den Raum wirft, die keiner gestellt hat – und hofft, damit neue Bedürfnisse zu wecken.
Die Frage im Vorspann, warum bereits existierende Systeme nicht längst eingesetzt werden, ist leicht zu beantworten: Weil sie nicht im Entferntesten ausreichend zuverlässig funktionieren. Wer, wie ich das berufsbedingt jeden Tag tue, häufig mit vielen unterschiedlichen „modernen“ Autos mit „modernen“ Assistenzsystemen unterwegs ist, weiß, dass die Trefferquote der „smarten“ Elektronik bei maximal 90 Prozent liegt; unter ungünstigen Wetterbedingungen weit darunter.
Nun könnte man sagen, das sei besser als nichts. Aber wenn diese Systeme meistens funktionieren, beginnt man, sich auf sie zu verlassen – und lässt es an der nötigen Sorgfalt mangeln. Man guckt nicht mehr ordentlich in den Spiegel, wenn der Totwinkelassistent nicht geblinkt hat. Man bremst beim Annähern an ein Hindernis erst, wenn der Notbremsradar piept. Man achtet nicht auf Verkehrszeichen, weil die Verkehrszeichenerkennung sie nicht im Display anzeigt. Die Konzentration beim Fahren schläft ein in die Vorstellung, dass man übermüdet, unter Drogeneinfluss fahren und nebenher noch andere Dinge tun kann.
Ein befreundeter Entwicklungsingenieur hat mir mal gesagt, dass der Verkehrssicherheit mehr gedient wäre, wenn in jedes Lenkrad statt eines Airbags die Spitze einer preußischen Pickelhaube montiert würde: Damit der Mensch am Lenkrad jederzeit daran erinnert wird, dass Autofahren etwas Gefährliches ist, dass er eine potenzielle Waffe bedient, dass er beim Autofahren bitte schön Autofahren soll – und sonst nichts. Assistenzsysteme, die es Menschen ermöglichen, Tätigkeiten auszuführen, zu denen sie von sich aus nicht fähig oder für die sie nicht geeignet sind, führen nur dazu, dass noch verantwortungsloser am Straßenverkehr teilgenommen wird. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könne ein Fahrzeug, das selbst schlau genug ist, so teilnahmslos benutzen wie ein öffentliches Verkehrsmittel. Und ich fürchte mich vor dem Tag, an dem erlaubt wird, dass Fahrzeugbediener ihre Verantwortung abgeben an tumbe technische Geräte, die – solange es keine echt künstliche Intelligenz gibt, die mehr kann, als nur aus einem Pool vorgefertigter Lösungen die gerade passend erscheinende herauszusuchen – maximal so angemessen agieren und reagieren, wie es die Programmierer bedacht haben.
THOMAS RÖNNBERG, Rettenbach
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