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Autokratie Die sechste Auflage der Aserbaidschan-Rundfahrt zeigt eine rasante Entwicklung in den letzten Jahren auf. Es geht ums Image und den Aufbau einer eigenen RadsportszeneSindelfinger Know-how im Kaukasus

Zunehmende Begeisterung am Streckenrand: Bereits bei der Rundfahrt 2016 registrierte man mehr Zuschauer an den Straßen Foto: imago

aus Baku Olaf Jansen

Roland Hofer steckt seinen Kopf aus dem Schiebedach des Führungswagens und wedelt mit der grünen Kelle in Richtung Fahrerfeld – los geht’s mit der Etappe der Tour d’Azerbaidjan 2017. Hofer ist kein Unbekannter in der Radszene. Die deutschen Fans kennen den 74-jährigen Schweizer vom Zürichsee unter anderem als Rennleiter der vor Jahren eingestellten Deutschland Tour und der Cyclassics von Hamburg. Auch da schwenkte er jahrelang die Kelle. Nun also die fünftägige Aserbaidschan-Rundfahrt, die am Sonntag (7. 5. 17) in Baku zu Ende geht. „Ich freue mich, hier mithelfen zu können, den Radsport zu etablieren. Es ist eine wunderbare Rundfahrt, die schon bald einen höheren Stellenwert im internationalen Kalender bekommen sollte“, so Hofer.

Hofer muss so reden, er arbeitet als Honorarkraft. Die Azeris, wie Aserbaidschaner genannt werden, wissen genau, wen sie sich da ins Boot ihrer Rundfahrt geholt haben – Hofer ist neben seinen Jobs als Kellenschwenker verschiedener Rennen zudem ein hoher Funktionär im Radsport-Weltverband UCI. Solche Leute braucht man, um im UCI-Ranking klettern zu können. Derzeit hat die Aserbai­dschan-Rundfahrt eine Wertigkeit von 2.1 im UCI-Kalender; das ist ungefähr so wie Europa-League im Fußball. Aber man will in die Champions League. „Wir werden alles tun, um noch weiter nach oben zu gelangen“, sagt Sahib Alakbarov.

Alakbarov ist Vizepräsident des aserbaidschanischen Radsportverbands, arbeitet Hand in Hand mit seinem Chef Farhad Aliyev, der nicht verwandt ist mit Staatschef Ilham Aliyev. Farhad gilt als moderner Erneuerer und Systemkritiker. Er saß sogar einige Monate im Gefängnis, nachdem er Korruption im System angeprangert hatte.

Seit der ehemalige Teilstaat der Sowjetunion 1991 unabhängig wurde, regiert die Familie Ilham Aliyevs das Land. Es handelt sich um ein autoritäres Regime, sagen Kritiker. Mit seinen überaus reichen Öl- und Gasvorkommen geht es dem 10-Mil­lio­nen-Einwohner-Land, das zwischen der Türkei, Russland und dem Iran als Europa-Asien-Verbindung gilt, wirtschaftlich glänzend. Dem schier unermesslichen Reichtum der Aliyev-Dynastie, die den staatlichen Ölkonzern Socar praktischerweise selbst betreibt, konnte sogar der massive Ölpreisverfall 2014/15 kaum etwas anhaben. Nur der Ruf im Ausland ist nicht besonders. Menschenrechtsverletzungen werden international angeprangert. Es gibt keine Meinungsfreiheit im Land, Opposi­tionelle werden verfolgt, attackiert und eingekerkert, beklagen ­Menschenrechtsorganisationen.

Spektakuläre Sportevents können in solchen Fällen helfen. Sie verbessern das Image im In- und Ausland – das hat in den vergangenen Jahren bereits Katar eindrucksvoll vorgemacht. Die Aliyev-Familie folgte dem Beispiel von der arabischen Halbinsel. 2015 fanden in Aserbaidschans Hauptstadt Baku die Europaspiele statt, seit 2016 röhren Formel-1-Motoren beim Grand Prix durch die Stadt. Der Socar-Konzern gehört zu den Sponsoren der Uefa, 2020 werden folglich Spiele der Fußball-EM in Baku stattfinden.

Die Tour d’Azerbaidjan wurde bereits 2012 aus der Taufe gehoben. Was auf schlechten Straßen rund um Baku an Hunderten Ölpumpen vorbei als Mehrtagesrennen für Nachwuchsfahrer begann, entwickelte sich in den folgenden beiden Jahren erstaunlich schnell zur anspruchsvollen Fünftagerundfahrt quer durchs Land. Hilfe hatten sich die Azeris in Westeuropa geholt. Unter der Führung der Sindelfinger Agentur „Freunde“ des Geschäftsmanns Albrecht Röder wurde sämtliches Knowhow in den Kaukasus importiert. Rennleitung, Infrastruktur, Fuhrparks, Presse und PR – man sprach deutsch in Bakus Rennradszene. Teams, Fahrer und Material wurden eingeflogen. Hunderte Straßenkilometer wurden neu geteert. Die Rundfahrt kletterte im Ranking flugs zwei Stufen bergauf. Das Einzige, was blieb, war der permanente Ölgeruch.

Seit 2016 machen die Aserbaidschaner alles selbst, holen sich nur punktuell Hilfe an die Seite

Röder und seine Leute sind indes nicht mehr da. Seit 2016 machen die Azeris alles selbst, holen sich Westeuropäer wie Hofer nur punktuell an die Seite. Rad-Vize Alakbarov hat nun mehr als nur Imagepflege im Sinn: „Wir haben den Reiz des Radsports erkannt und wollen ihn zum Volkssport ausbauen.“

Es wurde noch einmal kräftig in die Ölgeldschatulle gegriffen: In Baku renovierte man die alte Radrennbahn, drum herum entstand ein Radtrainingszentrum mit Verbandssitz und einem Profiteam: dem Synergy Baku Cycling Project. Im Leistungszentrum wird seit 2014 unter Profibedingungen trainiert, auch in den Schulen wurde Radsport eingeführt. Die Maßnahmen tragen erste Früchte: Jeden Sonntag treffen sich zuweilen über hundert Hobbyradler auf dem Marktplatz der Hauptstadt, um zu einer Trainingsrunde aufzubrechen. Und vor den Toren Ismayllis, einer Kleinstadt rund 180 Kilometer nördlich von Baku, hat kürzlich die erste Radfabrik des Landes ihre Arbeit aufgenommen. „Die Menschen sind radsportbegeistert. Das spürt man auch bei der Rundfahrt, bei der man eine riesige Begeisterung am Streckenrand wahrnimmt“, sagt Roland Hofer.

Sportlich können die Azeris allerdings noch nicht mit den Besten mithalten. Rund 30 Profis hat das Land mittlerweile, der umjubelte Etappensieger des Syner­gy-Baku-Teams, der auf dem zweiten Tagesabschnitt zwischen Baku und Ismayillis eine Soloflucht erfolgreich beendete, Kiril Poz­dyakov, stammt aus Russland.

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