: Kinder, wie die Zeit vergeht
AVANTGARAGE Jad Fair, der Dr. Seltsam des spinnerten US-Rock, gastierte mit seiner Band Half Japanese im Charlottenburger Club Quasimodo
Das Alter des Publikums entspricht immer ungefähr dem des Künstlers, sagte neulich ein Kabarettist im deutschen TV. Ausnahmen dieser Regel sind rar und etwas sehr Besonderes – Dieter Hildebrandt, hieß es, sei so ein generationsübergreifender Künstler gewesen.
Das Äquivalent zu Dieter Hildebrandt im US-Avantgarde-Seltsamrockschaffen heißt Jad Fair und ist inzwischen schon 62 Jahre alt. Das Haar des Mannes aus New Jersey ist grau, die Jahre ziehen; aber im Unterschied zum politischen Kabarett gibt es beim avancierten Garagenrock von jeher einen Altersunterschied zwischen denen auf der Bühne und denen im Moshpit.
Dieser Umstand fiel bei Half Japanese, Fairs altehrwürdiger Band, die am lauen Montagabend tief im Westen der Stadt, im ehrwürdigen Jazzkeller des Quasimodo, spielte, allerdings nicht so auf. Ein handverlesenes Publikum, davon war die überwiegende Mehrheit weiß und männlich – aber hey! der Rezensent war einer davon und hatte durchaus seinen Spaß.
Großen Erfolg im Sinne von Weltruhm hatten Half Japanese eh nie, auch damals nicht, als Kurt Cobain persönlich sie einlud, als Vorband von Nirvana eine Tour zu bestreiten. Dass die Band, die es offiziell bereits seit 1975 gibt, aber nur noch wenige Leute zieht, war etwas enttäuschend, machte aber nichts. Schließlich wurde es so recht familiär – Fair und Band, darunter ein Bassist, der Probleme mit seinem Effektgerät hatte und den Altersdurchschnitt der Band erheblich senkte, waren in blendender Stimmung und spielten sich durch ein Set, das keine Wünsche offen ließ.
Punk mit Umhängebrille
Gitarrist Mick Hobbs verband Punkrock mit Umhängebrille; Gilles Rieder gab das FKK-Monster am Schlagzeug – insgesamt wirkten die vier wie eine entfesselte Rentnerband, die sich im Quasimodo fühlte wie daheim in der Garage in einem Vorort des Arbeiterklassen-Vorortes Hoboken/New Jersey. Dabei hatten sich Half Japanese eine ganze Weile nicht sehen lassen, obwohl immer mal wieder ein Album erschienen war (zuletzt „Hear the Lions Roar“). Ihr Stil hat sich im Gegensatz zum Äußeren nicht groß geändert – im Wesentlichen eine jazzig zu nennende Spielart, mit Punk und Postpunk umzugehen, mit Genrefuck-Ausflügen (also Parodien auf Vaudeville, Country und dergleichen) und absurden Coverversionen (diesmal: „Moving On Up“ von Primal Scream). Jad Fair setzt dabei stets auf den Charme eines altmodischen Verehrers („someone sent you roses, Karen …“) und ist immer für Spökes zu haben. Beim letzten Mal, dass ich die Band gesehen habe – und das ist auch schon 20 Jahre her –, bespielte er das gesamte Konzert über die blanke Rückseite einer Rickenbacker; diesmal hatte er eine Kinder-E-Gitarre dabei, die ein kratziges Hintergrundschrammeln lieferte, bis sie in ihre Einzelteile auseinanderfiel: Punk Rock! Einen Song des befreundeten Weirdos Daniel Johnston hatten sie natürlich auch im Programm. Weirdo-Musik von charmanten Spinnern, die sich einen flotten Lebensabend gönnen, der sich hoffentlich noch eine ganze Weile hinziehen wird. Kurt Cobain ist ja schon tot, und das reicht ja.
René Hamann
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