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Archiv-Artikel

Die Kontrolle der Nicht-Kontrolle

Ab und zu am Regler schieben: Andrew Pekler baut Geräteschleifen, begeistert sich für Ambivalenzen und instabile Systeme und dokumentiert seine erste Begegnung mit der Musik Morton Feldmans in seinem dritten Album „Strings + Feedback“

VON GUIDO KIRSTEN

Wohl nicht zufällig begeistert sich Andrew Pekler für Ambivalenzen in der Musik. Der Wahlberliner ist in Usbekistan geboren, in den USA aufgewachsen und lebt inzwischen seit einigen Jahren in Deutschland. Sein multikultureller Hintergrund hat ihn mit vielen unterschiedlichen Eindrücken versorgt – und die scheint er auf seinen Platten als Stile wieder zu mischen.

Schon bei den Experimenten auf seiner ersten Soloplatte „From Station to Station“ spielte die Vorliebe für das Dazwischen die entscheidende Rolle: Jazz und Lounge wurden zu abstrakter Elektronik, die Harmonien hingen zwischen Moll und Dur; Funkyness drehte Tanzbarkeit eine lange Nase. Seine zweite Veröffentlichung 2004 auf dem Berliner Label scape war ein Lehrstück in Präzision – ein Meisterwerk, dem im Sog der deutschen Electronica-Rezession viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Selten wurde so fein, so perfektionistisch, so mikroelementar gearbeitet, wurden so viele Netze übereinander gesponnen.

Für sein drittes Album, das jetzt auf Staubgold veröffentlicht wird, hat Andrew Pekler seine Arbeitsweise gründlich verändert. Große Teile von „Strings + Feedback“ sind Zufallsprodukte und Früchte einer Produktionsweise, die er derjenigen am Vorgänger bewusst entgegensetzte: „Ich wollte mich von der extrem kleinteiligen Arbeit an der letzten Platte einfach erholen, so wie andere Leute manchmal joggen gehen.“

Seine Vorliebe fürs Offene ist zwar geblieben, aber die wilde Heterogenität der Materialien ist stark zusammengeschrumpft – den Ausgangsstoff bezieht Pekler aus einer einzigen Quelle, einem Streichquartett von Morton Feldman aus den Fünfzigerjahren. Als er das einmal entdeckt hatte, sah er schnell Gemeinsamkeiten zu eigenen Vorstellungen: „Feldmans Musik will nichts Bestimmtes von dir. Sie ist angenehm unaufdringlich, eine perfekte Tapete. Das hat mich fasziniert.“ Ab diesem Punkt war Pekler klar, dass er Feldman nicht nur hören, sondern mit dessen Musik arbeiten wollte.

Das Ganze begann als Experiment: Pekler sampelte Passagen aus der Feldman-Komposition, schickte sie in einen Loop, bearbeitete sie und speiste sie wieder in selbst gebastelte Geräteschleifen ein. So schickte er beispielsweise ein Signal mehrfach hintereinander durch ein Delay-Effektgerät. Es entstanden nach Zufallsprinzip generierte Soundteppiche: eine Verzahnung aus bewusst gewählten Fragmenten und der Eigenverarbeitung der Impulse durch das System. Kontingenz und Kontrolle. „Ich fand es spannend, instabile Systeme zu schaffen aus einer Kombination aus Geräten und Software: Elemente zu haben, die sich beeinflussen und gegenseitig hochschaukeln.“

Eingriffe in das, was musikalisch passiert, sind keine gezielten Steuerungen mehr, sondern werden vom System nur noch als Irritation wahrgenommen und dann prozessiert. In der kybernetischen Terminologie Heinz von Foersters ließe sich von „nichttrivialen Maschinen“ sprechen, die komplex genug sind, die Impulse von außen nach eigenen Maßgaben zu verarbeiten und sich dabei als System selbst zu reproduzieren. Pekler allerdings hat genau das abgehört und mitgeschnitten. „Als ich die Platte aufgenommen habe, habe ich das dann teilweise mehrere Minuten so vor sich hinlaufen lassen und nur ab und zu mal einen Regler verschoben. Eigentlich sind das Untersuchungen innerhalb eines Systemaufbaus.“ Aus den so entstandenen Stücken wählte Pekler für die Platte dann zehn Ausschnitte, die unter Namen wie „p’lucked“ oder „localite“ das Material von „Strings + Feedback“ bilden. Auf diesem Album degradiert er sich als Produzent zur Umwelt eines eigenwilligen Systems – der „Autor“ betreibt seine eigene Entsubjektivierung.

Eher zufällig traf Andrew Pekler mit dieser Arbeitsweise auch den Geist der Feldman’schen Kompositionsideen. Selbst einst John-Cage-Anhänger, hat sich der amerikanische Komponist Morton Feldman (1926–1987) früh von der rein aleatorischen Lehre getrennt, ohne dabei jedoch die Idee des Eigenlebens seiner Kompositionen zu verabschieden. Sein Dilemma war folgendes: Einerseits sollten die Klänge von den subjektiven Intentionen befreit werden, andererseits war für Feldman auch die Technik der Nicht-Kontrolle wieder nur eine andere Methode, eine Kontrolle der Nicht-Kontrolle. Sein künstlerisches Programm bestand aus Versuchen, damit fertig zu werden: Beispielsweise indem er zwar die Noten, aber nicht deren Länge notierte. Schließlich entfernte er sich aber auch von diesen Versuchen und verfolgte eine eigenwillige Ästhetik des leisen Tons, in der alles der eigenen Intuition folgte – gegen den Methodenzwang. Eines seiner bekanntesten Bonmots ist die Abwandlung des Sprichworts „Der Mensch plant – Gott lacht“ in „Der Komponist plant – die Musik lacht“.

Vielleicht wirkt Andrew Pekler auch deswegen beim Gespräch so angenehm entspannt: „Es hat diesmal viel Spaß gemacht, die Aufnahmen zu machen, weil es für mich einfach eine Art war, die erste Begegnung mit dieser faszinierenden Musik zu dokumentieren und auch in die Länge zu ziehen.“ Und er begegnete immerhin erst einem Streichquartett. Er weiß: Es wartet noch viel Morton Feldman auf Andrew Pekler.

„Strings + Feedback“ von Andrew Pekler ist auf Staubgold erschienen. Am 30. 9., 21 Uhr stellt Pekler sein Album im Tabou Tiki Room, Maybachufer 39, vor.